Interview
Im zweiten Stock eines Gründerzeithauses sitzen wir am Besprechungstisch in der Büro-Bibliothek. Tina Gregoric und Aljoša Dekleva arbeiten gerade mit ihrem Team an einem weiteren Wettbewerb. Sie nehmen sich Zeit für ein ausführliches Gespräch. Ihre Antworten und Gedanken ergänzen sich, sie werden weitergesponnen, ergänzt, relativiert und ergeben insgesamt ein harmonisches Ganzes. So ähnlich stellt man sich den gemeinsamen Entwurfsprozess vor …
Eure Projekte waren kürzlich in Hamburg in einer Ausstellung mit dem Titel „Wild wild East“ zu sehen. Wie geht es euch mit solchen Etikettierungen?
Tina Gregoric:
Wir fühlen und fühlten uns nie so recht als „Ostblock“ – weder im architektonischen, noch im kulturellen Bereich und auch nicht im politischen.
Aber man gewöhnt sich an diese Kategorisierung …
Aljoša Dekleva:
Man gewöhnt sich an diese Kategorisierung, obwohl wir in Slowenien schon immer
viele Freiheiten hatten. „Flash Gordon“ zum Beispiel habe ich als Kind im Kino im
italienischen Triest gesehen. Ich bin dort in der Nähe aufgewachsen und habe mehr
Zeit in Triest verbracht als in Ljubljana.
Euer erstes gebautes Projekt, das XXS Haus in Ljubljana, war in zahlreichen Publikationen auf der ganzen Welt zu sehen. War diese Aufmerksamkeit der Medien eine Überraschung für euch?
Aljoša Dekleva:
Ja, natürlich. Das XXS Haus wurde im Ausland stärker beachtet als hier in Slowenien.
Das Projekt ist Teil einer nicht neuen, aber interessanten Diskussion, wie man in historischer
Umgebung baut und auf den Denkmalschutz reagiert. Ein großes Thema auch
für Medien und Architekten aus dem Ausland.
Tina Gregoric:
Eigentlich fing alles mit der Six-Pack-Ausstellung an, einer Wanderausstellung über
junge slowenische Architekten. Sie wurde im Ausland gezeigt, bevor das Haus
überhaupt fertig gestellt war. Während wir international Preise erhielten, waren die
Reaktionen in Slowenien eher gemischt. Irgendwo habe ich sogar gelesen, dass das
Haus eine Auszeichnung für „Bunker-Architektur“ bekommen hat …
Du sagtest, das XXS Haus hatte Auswirkungen auf die internationale Diskussion? Darauf wie man mit historischer Substanz umgeht?
Aljoša Dekleva:
Ja, das war bemerkenswert. Ausländische Magazine publizierten das Haus immer
mit Bildern von außen, mit Blick auf die Straße, mit dem Haus als Teil der Umgebung.
Sie waren nicht nur interessiert an dem Gebäude als ästhetischem Objekt, sondern
auch daran, was das Objekt wirklich bedeutet und was es erzählt. Wie man in einer
bestimmten Umgebung und einem definiertem Kontext baut. So verstehen wir auch
unsere Arbeiten, wir beziehen uns immer auf den Kontext.
In Bezug auf das XXS Haus schrieb die Kritikerin Maja Vardjan: „Ein privates Haus bleibt oft das einzige Experimentierfeld für Architekten in Slowenien.“ Ihr forscht auch in anderen Projekten, in unterschiedlichen Maßstäben. Hat sich die Situation in Slowenien geändert oder ist eure Herangehensweise eine andere?
Tina Gregoric:
Grundsätzlich möchten sich doch alle Architekten ausprobieren. Und für uns ist jede
Bauaufgabe ein Experiment, dessen Ursprung und Ergebnisse wir ständig hinterfragen.
Es geht um das Volumen, den Kontext, die Materialien oder ähnliches. In den
1960ern gab es eine interessante regionale Richtung in unserer modernen Architekturgeschichte,
die „Kontextuelle Moderne“. Nicht nur wir, sondern ein Großteil der
jungen slowenischen Architekturgeneration bezieht sich auf diese Periode.
Aljoša Dekleva:
Wir betreiben Architektur nicht als Serviceleistung, sondern verstehen sie als kreativen
Akt. Ferienhäuser bieten uns dabei die größte Freiheit. Bei Einfamilienhäusern
sind Bauherren nicht so aufgeschlossen, sie verbringen dort ihren Alltag. (Das XXS
Haus ist eigentlich ein Wochenendhaus in der Stadt für ein Paar, das auf dem Land
lebt.)
Was heißt also gute Architektur für euch? Könnt ihr das in Worten ausdrücken?
Aljoša Dekleva:
Zu Bauen ist natürlich die wichtigste Art, ein Verständnis von guter Architektur zu
kommunizieren. Gute Architektur muss auf den Kontext, auf das Vorhandene reagieren
– entweder auf die Bauten in der Umgebung, auf soziale Gegebenheiten, die
Materialien oder das politische Umfeld.
Tina Gregoric:
Für uns ist auch essentiell, wie der Nutzer involviert wird und wie der Raum auf ihn
reagiert. Ich denke, es ist naiv, einen Raum für Interaktion zu schaffen, ohne den
Kontext, ohne die subtilen Beziehungen zu beachten. Warum ist Architektur anders
als alle anderen Künste? Weil sie den Menschen mit einbezieht. So wie ein Buch
nicht existiert, wenn es keine Leser gibt, genauso verhält es sich mit der Kunst. Und
noch viel mehr gilt dies für Architektur. Wenn es keinen Menschen gibt, gibt es keine
Architektur.
Ihr arbeitet in unterschiedlichen Maßstäben, vom Objekt-Design über Innenarchitektur bis hin zum Städtebau. Gibt es einen Unterschied in eurer Herangehensweise auf unterschiedlichen Maßstabsebenen?
Tina Gregoric:
Unsere grundsätzliche Herangehensweise ist immer dieselbe: ob Türklinke oder
Städtebau. Wir stellen nur andere Fragen. Bei kleinen Projekten etwa geht es eher um
die Materialien.
Nachhaltigkeit in der Architektur – wie geht ihr mit diesem Thema um?
Aljoša Dekleva:
„Wenn du nachhaltig sein willst, baue nichts!“, fällt mir dazu als Erstes ein. Vor kurzem
war das die Titelgeschichte eines Architekturmagazins. Sicher ist das ein Thema
für uns: Wenn diese Gesellschaft überleben will, müssen wir uns so verhalten, dass
das gesamte System bestehen kann. Wir müssen neue Wege gehen. Bei unserer
Metallrecycling-Anlage etwa haben wir ein Gebäude aus Stahl gebaut, das komplett
recycelt werden kann.
Tina Gregoric:
Nachhaltigkeit in der Architektur sollte man nicht zu kleinteilig sehen, sondern
globaler, städtebaulich. Die ersten Fragen sollten sein: Müssen wir überhaupt so viel
bauen? Wie können wir Gebäude recyceln? Gibt es alternative Nutzungsmodelle?
Wir brauchen eine tiefergehende Diskussion – mehr als die Fragen zu Photovoltaik-
Anlagen auf Dächern. Wir versuchen, nachhaltige Prinzipien zu integrieren, ohne dass
das Ergebnis die erwartete “typische Musterlösung“ wird.
Wie sieht eigentlich eure Arbeitsweise aus? Ist der Entwurfsprozess Teamwork?
Aljoša Dekleva:
Es ist immer Teamwork, aber nicht nur von uns beiden, sondern vom ganzen Büro.
Wir diskutieren alle Ideen und Fragen. Im Falle des Designs der Türklinken
gab es am Ende dann zwei Vorschläge...
Tina Gregoric:
Wir arbeiten immer mit Modellen. Das erleichtert die Diskussion über architektonische
Vorschläge und Räume. Zusätzlich sind digitale Modelle ein nützliches Werkzeug.
Eigentlich gibt es immer eine Serie von analogen und digitalen Modellen, mit
denen wir uns parallel beschäftigen.
Aljoša Dekleva:
Die digitale Variante benötigen wir für die technische Umsetzung, das klassische
Modell hilft uns bei der Entwicklung der räumlichen Ideen. Es ermöglicht ein direktes
Feedback, gerade in der Gruppendiskussion.
Ihr habt in London und Ljubljana studiert. Welche Stadt hat euch stärker beeinflusst?
Aljoša Dekleva:
Eigentlich beeinflusst dich alles, was du tust. Beide Orte sind also gleich wichtig. In
London spielte die internationale Erfahrung für uns eine große Rolle – mehr als der
zusätzliche Abschluss.
Tina Gregoric:
Distanz macht dich kritischer. Wenn du eine gewisse Zeit im Ausland verbracht hast,
hinterfragst du deinen Status, deine Arbeit und deine Situation zuhause. Die Zeit in
London war Luxus. Eineinhalb Jahre durften wir uns auf nur eine Sache konzentrieren
und forschen. Zuhause laufen immer mehrere Projekte parallel. Das Leben in einer
Metropole hat uns auf jeden Fall soweit beeinflusst, dass wir heute mindestens alle
drei Monate eine andere Stadt besuchen müssen.
Aljoša Dekleva:
Generell beeinflussen mich einzelne Bauten mehr als Städte. Ich kann nicht sagen,
diese Nation produziert gute Architektur oder dieser Architekt ist gut, sondern
dieses Gebäude interessiert mich. Wir beziehen uns also viel mehr auf bestimmte
Bauten und Produkte als auf Personen oder Städte. Ein Beispiel: Man könnte sagen,
Jože Plecnik hat uns beeinflusst. Aber eigentlich ist es die Treppe in einer Kirche von
Plecnik, an die wir uns erinnerten, als wir die Treppe für das XXS Haus entwarfen.
Habt ihr ein Lieblingsprojekt und warum? Was würdet ihr gerne noch bauen?
Aljoša Dekleva:
Ich mag den Bäder-Schauraum in Triest am meisten. Das Projekt hat einfach Spaß
gemacht. Die Pertot-Brüder suchten etwas Unkonventionelles und waren sehr offen
für neue Ideen. Und es macht mir immer noch Spaß. Du kannst dort hingehen und
Toiletten im Kreis fahren. Immer wenn ich dort bin, schiebe ich eine Toilette herum.
Außerdem würde ich gerne unser zeitgenössisches Dorf realisiert sehen. Weil das meine Heimat ist. Es muss einfach gebaut werden, damit wir zeigen können, dass qualitätvolle Siedlungsentwicklung möglich ist. Wir möchten zeigen, dass man typische, über Jahrhunderte entstandene Bebauungsformen bewahren kann und trotzdem in einem zeitgenössischen Haus leben kann.
Tina Gregoric:
Ich möchte einen Kindergarten bauen und ein kleines Hotel. Wenn du Räume für
Erziehung neu definierst, kannst du die Entwicklung der Menschen beeinflussen. Das
ist wirklich wichtige Architektur. Eine ganze Generation verbringt so viel Zeit in Kindergärten
und Schulen. Ein kleines Hotel aus den Gründen, die wir vorhin diskutiert
haben. Temporäre Wohnorte bieten einfach die optimale Grundlage zum Experimentieren.
Das Gespräch führte Peter Zöch
Peter Zöch studierte Landschaftsarchitektur in Wien und Manchester sowie Kommunikationsmanagement
an der Donau Universität Krems. Er arbeit als Redakteur bei dem
internationalen Fachmagazin Topos ˆ The International Review of Landscape Architecture
and Urban Design und ist als Buchautor sowie Fachjournalist für Tageszeitungen und
Fachmedien tätig. 2009 war er Gastkritiker an der Architectural Association im Bereich
Landscape Urbanism.
Projektleitung: Andrea Nakath