Crystal Talk
Text: Norman Kietzmann, Katrin SchamunFotos: Diller Scofidio + Renfro

Interview

Interview dillerscofidiorenfro
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30 Jahre Diller + Scofidio: Begonnen haben Sie 1979 nicht als klassisches Architekturbüro, sondern an der Schnittstelle von Kunst und Architektur. Wie sehen Sie die Beziehung zwischen diesen beiden Disziplinen?

In der Kunstszene betrachtet man uns als Architekten, unter Architekten erheben wir den Anspruch, auch als Künstler wahrgenommen zu werden. Jeden Tag werden wir mit der Teilung beider Disziplinen konfrontiert, aber in unserer Arbeit unterscheiden wir nicht zwischen beiden. Als Ricardo und ich unser Büro gründeten, widmeten wir uns zunächst hauptsächlich der Performance Art, dem Theater und der visuellen Kunst. Doch unser Interesse ging weit über diese Bereiche hinaus und es gab viele Themen, die uns reizten: die Kommunikation zwischen den Menschen, die Entstehung kultureller Konventionen und der Einfluss von privatem und öffentlichem Raum auf den Menschen. Architektur und Kunst sind beides Teil unserer Welt, Teil des kulturellen Raumes, innerhalb dessen wir experimentieren. Die Ergebnisse unserer Forschung zeigen wir in Kunstinstallationen, manchmal auch in Architekturinstallationen – das spielt keine Rolle, macht für uns keinen Unterschied, häufig verschwimmen die Grenzen. Die Projekte hängen vielmehr von äußeren Umständen ab, von der Größe des Budgets, vom einem manchmal zu engen, dann wieder ausreichend großen Zeitrahmen, den uns der Auftraggeber einräumt.

Dass Sie früher Kunstprojekte realisierten, heute vor allem Bauten für die Kunst planen, macht das für Sie einen Unterschied?

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So, wie die Architektur einen Teil von Kunst und Kultur darstellt, verstehen wir den Architekten als Partner kultureller Institutionen. Unser Ansatz ist es nicht, aus einem Gebäude eine Skulptur zu formen, wie es beispielsweise Frank Gehry macht. Er sieht in der Architektur den Protagonisten, während die Kunst sich dieser unterordnet. Für mich ist das kein kunstvoller Weg des Entwerfens. Architektur muss sehr exakt auf Inhalt und Funktion des Gebäudes reagieren. Was möchte dieses Bauwerk darstellen? Für wen wird es entwickelt? Wie wird es ein Teil der Performance, wie wird es aktiv? Jedes neue Projekt wirft dieselben Fragen auf. Austauschbar sind nur das Material, die Bausteine. Wir nutzen Medien, gebrauchen Pixel, bauen mit Ziegeln und Glas. Die Schwierigkeit besteht darin, die passenden Einzelteile für das große Ganze zu finden.

Wie kamen Sie zur Architektur?

Ich selbst kam nie auf die Idee, Architektin zu werden, ich entschied mich zwar für das Studium, sah es aber als eine gute Ausbildung und gleichzeitig als Experiment. Schon sehr früh interessierte ich mich für Kunst, ich wollte nach der Highschool mit Film zu arbeiten. Als ich in den Achtzigern an die Cooper Union ging, beeindruckte mich der damalige Architekturdekan John Hejduk mit seinen Vorlesungen. Architektur bedeutete ihm mehr als Bauen, er beschrieb sie als eine intellektuelle und kulturelle Auseinandersetzung mit der Welt und den Menschen. Das überzeugte mich.



Worin sehen Sie die Aufgaben jetziger und zukünftiger Architekten, Sie selbst unterrichten die nächste Generation?

Die Mehrheit der Praktizierenden sieht in der Architektur eine Dienstleistung an der Gesellschaft. Natürlich ist sie mehr als das. Ihre wichtigste Aufgabe ist es, zu hinterfragen und zu klären: Traditionen, Gewohnheiten, Überholtes, Unlogisches. Architekten sollten unsere kulturelle Welt enthüllen, sie untersuchen – ich nenne das Evolution. Antworten zu geben, ist unser Ziel. Das beinhaltet auch eine konstruktiv kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Ich sehe die Rolle des Architekten darin, neue Wege und Grundlagen einer Zusammenarbeit in unseren menschlichen Netzwerken zu finden. Nur auf diese Weise können wir Veränderungen in der Welt herbeirufen.

Wie zeigen Sie dieses Anliegen in Ihren Projekten?

Wir greifen oft Konventionen auf und hinterfragen sie: Warum sind Umstände, Dinge, so wie sie sind, wie entstehen sie, was geschieht eher unbewusst und wird gar nicht wahrgenommen. Wir regen an, Gegebenheiten unseres Alltags zu hinterfragen: Seht genau hin, lest zwischen den Zeilen, habt einen differenzierten Blick darauf. Verschließt Euch nicht für das Wesentliche. Eines unserer Forschungsthemen ist der Raum und seine Grenzen innerhalb unserer Kultur. Wir erforschen, welchen Einfluss die Architektur auf unser Sozialverhalten ausübt.


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Bevor 2001 das Sicherheitsbedürfnis – nicht nur in New York – extrem anstieg, gehörten Diller & Scofidio zu den ersten Künstlern, die Neue Medien in ihren Arbeiten nutzten und spielerisch die Überwachung des Menschen zum Thema ihrer Kunstinstallationen machten. Woher kam Ihre Inspiration?

Mit unserer Arbeit wollen wir anderen immer einen Schritt voraus sein. Uns interessieren neue Technologien, neue Medien und wie sie in unser Leben eingreifen, es beeinflussen. In unseren Untersuchungen versuchen wir, Objektivität zu wahren und gleichzeitig den kritischen Blick nicht zu verlieren. Von diesem Standpunkt aus ergeben sich Themen, mit denen man neue Pfade betreten kann. Unsere Forschungen finden meist über einen Zeitraum von mehreren Jahren statt, das macht unsere Arbeit aus, unterscheidet uns von vielen Architekten.

Ganz aktuell gestalten Sie in New York zwei sehr unterschiedliche öffentliche Projekte: den High Line Park in Chelsea und das „Lincoln Center of Performing Arts“. Vor wenigen Monaten wurde mit der Alice Tully Hall ein Teil des Kulturzentrums fertig gestellt. Welche Arbeitsweise erfordern für Sie Projekte dieser Größenordung?

Ein so bedeutendes Projekt wie das Lincoln Center - weltweit das erste und bis heute größte Kunst- und Kulturzentrum – reizt uns natürlich ganz besonders. Hauptaufgabe des Umbaus bestand in der städtebaulichen Integration des gesamten Gebäudekomplexes in seine Umgebung. Das Lincoln Center sollte wieder Teil des öffentlichen Raumes der Stadt werden. Die ursprünglichen Planungen aus den 1960er Jahren sahen einen in sich geschlossenen Kunstcampus vor, mit dem sich die Kulturinstitution baulich vom städtischen Leben separierte. Für unser Vorhaben musste die Eingangssituation komplett überarbeitet werden. Bisher war das Konzerthaus, die Alice Tully Hall, nur über einen kleinen Einlass von der Straße aus erreichbar, der Zugang zur darüber gelegen Schule war völlig verdeckt, zu ihr führte eine riesige Fußgängerbrücke über die Straße ins obere Geschoß. Mit unserem Entwurf stellten wir die Beziehung zwischen der Kulturinstitution und der Stadtöffentlichkeit wieder her. Nach unseren Plänen öffnet sich die gesamte Anlage zur Straße hin und ist nun über mehrere Eingänge erreichbar.

Beim Lincoln Center in New York wie auch beim ICA in Boston wurde viel Wert auf das Verhältnis Gebäude und öffentlicher Raum gelegt. Wie wichtig ist die Beziehung zwischen beiden Räumen?



Es ist immer eine Herausforderung, einen Übergang zwischen dem öffentlichen Raum einer Stadt und dem privaten Raum eines Gebäudes zu schaffen. Architekten haben eine Verantwortung gegenüber den Menschen, die ihre Gebäude nutzen. Kulturelle Einrichtungen sind immer soziale Orte der Kommunikation, des Lebens. Mit unserer Architektur beeinflussen wir die Wahrnehmung der Passanten. Ein Beispiel: Bei der Gestaltung der Alice Tully Hall fragten wir uns, wie wir dem Vorbeigehenden die Stimmung im Inneren des Gebäudes näherbringen können. Das Erdgeschoss gestalteten wir als eine mit Licht durchflutete Lobby und statteten sie mit Bars und Restaurants aus. Vor dem Gebäude befindet sich ein Platz mit Aufenthaltsqualität, der die Verbindung zwischen dem durch das Glas gut einsehbaren Inneren des Gebäudes und dem öffentlichen Außenraum herstellt und die Passanten einlädt, das Bauwerk zu erfahren.

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Worin besteht die größte Kunst bei solch großen und öffentlichen Projekten?

Ich denke, es sind die Kompromisse, die geschlossen werden. Es gibt ständig Verhandlungen, in denen jeder Teilnehmer Kritik aus der Sicht seiner Disziplin unterbreitet und den ganz eigenen subjektiven Standpunkt einbringt. Wenn ich einen meiner Vorträge halte, mit circa 50 Bildern, etwa 40 Minuten lang, es ist ein kurzer Abriss der Geschichte unseres Büros und stellt unsere Projekte vor, beobachte ich an mir selbst, dass ich mich je nach Auditorium unterschiedlich ausdrücke. Halte ich diesen Vortrag in einer Universität vor Architekturstudenten, betone ich vor allem den rchitektonischen oder räumlichen Aspekt. Vor Bauherren oder Auftraggebern nutze ich andere Begrifflichkeiten. Im Zuge der Verhandlungen zum Lincoln Center zeigte ich meinen Vortrag sechs Mal mit gleichem Text und denselben Bildern. Aber jedes Mal war es, als ob ich in einer anderen Sprache kommunizierte, denn ich sprach immer mit einem anderen Publikum – mit Vertretern der Stadt, der Kommune, Beamten aus der Denkmalpflege, akademische Gruppen, Künstlergruppen. Das meine ich auf keinen Fall zynisch, sondern möchte nur auf diese Tatsache hinweisen. Es geht um einen kreativen Prozess herauszufinden, wie innerhalb dieses Netzwerkes verschiedenster Gruppen vermittelt werden kann, eine gut funktionierende Zusammenarbeit gewährleistet wird, um am Ende etwas ganz Großes zu schaffen, in dem sich immer noch die Idee des Entwurfes und jeder der Beteiligten spiegelt.

Und die Herausforderungen beim Entwerfen?

Ich wünsche mir weniger Einschränkungen, mehr Raum für Forschung. Hauptaufgabe bei der Renovierung des alten Gebäudes der Alice Tully Hall war es, die akustische Qualität der Konzerthalle zu verbessern. Interessant dabei sind die emotionalen Effekte, die Architektur auslösen kann. Während dieses Projektes beschäftigten wir uns mit Psychoakustik. Sie lehrte uns: Wenn Du besser siehst und besser fühlst, dann hörst Du auch besser. Beim Hören eines Konzertes werden unterschiedliche Sinne angesprochen und diese bilden zusammen das Musikerlebnis. Ein Beispiel: Verwendet man für die Akustik einer Musikhalle Material aus Kunststoff, ist dies zwar aus technisch akustischer Sicht die bessere Wahl gegenüber einer Holzdecke. Eine mit Holz ausgekleidete Halle verändert aber die Atmosphäre des gesamten Raumes so stark, dass sich der Mensch wohler fühlt und das gesamte Hörerlebnis positiver wahrnimmt.

Vielen Dank für dieses Gespräch

Autor: Katrin Schamun
Projektleitung: Andrea Nakath