Crystal Talk
Text: Florian HeilmeyerFotos: UNStudio, Allard van der Hoek

Interview

Interview nagler
UNStudio

Ben van Berkel hat sich zwischen zwei Sitzungen ein wenig Zeit genommen, er trinkt Tee und wirkt hinter seinem knall-orangenen Arbeitstisch gleichsam entspannt und konzentriert. Eine Frage des Charakters offenbar, denn dieser Mann steht eigentlich unter Hochspannung. Er hört aufmerksam zu, erläutert dann seine Gedanken mit weiten Gesten und greift immer wieder zum Stift, um kleine, illustrative Skizzen auf ein ihm hastig zugeworfenes Stück Papier zu zeichnen – ein Architekt eben. Ende 2008 konnte das 20-jährige Jubiläum von UNStudio gefeiert werden und die leicht nostalgische Frage nach einem Rückblick auf die Höhepunkte wischt er rasch beiseite. „Es ist ein großer Vorteil, dass wir in den letzten 20 Jahren langsam gewachsen sind. Wir haben nicht gefeiert wie großartig wir sind, sondern dass wir unser Jubiläum mit Menschen feiern konnten, die nun auch bereits zehn oder 15 Jahre hier arbeiten.“ Teamgeist ist im „United Network Studio“ wirklich wichtig, nicht nur mit Caroline Bos sondern auch mit den Mitarbeitern und einer Vielzahl externer Spezialisten. Der Rest ist niederländische Bescheidenheit. Es gäbe genauso viele Gründe, auf die Leistungen des Büros außerordentlich stolz zu sein. Denn die 20-jährige Firmengeschichte zeigt nicht nur konstantes Wachstum, sondern einen von Anfang an ebenso experimentellen und mutigen wie erfolgreichen architektonischen Ansatz, den die Architekten in Theorie und Praxis über die Jahre immer weiter verfeinert, verändert und ausgearbeitet haben.

Im Jahr 2000 hat Bart Lootsma mit dem Buch „Superdutch” eine Art Manifest über die damals steil aufsteigenden niederländischen Büros geschrieben. Neben Rem Koolhaas, Wiel Arets, Neutelings Riedijk, West 8 oder MVRDV war auch UNStudio Teil dieses Buchs – wann hast du dich zuletzt „superdutch” gefühlt?


UNStudio

Noch nie. Ich habe sowieso Probleme mit dem Wort „super” – aber ich habe auch Probleme mit dem Wort „dutch”. Ich bin nach meinem Studium in Amsterdam nach London gegangen und habe dort sechs Jahre an der AA verbracht. Ich habe bei Hadid und Calatrava gearbeitet. So eine internationale Ausbildung war damals noch eher ungewöhnlich. Ich habe mich dabei nie „dutch“, sondern eher international gefühlt. Vielleicht gibt es gewisse Spuren von niederländischer Architekturgeschichte in meinen Arbeiten. Ich interessiere mich für Lösungen, die architektonische und technische Aspekte gleichermaßen integrieren – dafür gibt es gewisse Vorbilder wie etwa Jan Duiker. Aber das wäre gewiss nicht „superdutch“. Ich will damit nichts grundsätzlich Negatives über das Buch sagen. Es hat eine neue Generation von niederländischen Architekten gezeigt.

Ich habe „superdutch“ angesprochen, weil Bart Lootsma darin deine frühen Entwurfszeichnungen beschreibt. Dürfen wir uns diese „Bildergeschichten“ als Startpunkt für die folgenden Arbeiten an den „Design Models“ und Funktionsdiagrammen mit dem Computer vorstellen?


Ja, sicher. Früher habe ich viele Zeichnungen gemacht, heute bin ich zur Malerei gewechselt. Ich halte mich deswegen nicht für einen Künstler, aber die Kunst fasziniert mich sehr. Meine Zeichnungen damals entwickelten sich einfach – meine Malereien heute sind viel konzeptioneller, eher geometrische Konstruktionen. Es sind aber nicht Malereien oder Skizzen, die direkt zur architektonischen Formfindung dienen. Es ist ein organischer, nichtlinearer Prozess, wie manche dieser geometrischen Überlegungen dann ihren Weg in die Projekte finden.

Du betrachtest dich nicht als Künstler, sind nicht viele eurer Projekte trotzdem Kunst?

Nein. Wir flirten nur mit der Kunst. Ich mag diese Undeutlichkeit, mit der wir die Architektur ab und zu behandeln. Ist es Kunst? Ist es keine Kunst?

Du hast die ersten Projekte einmal als „Blaue Periode“ bezeichnet. Warum?

Ja, das stimmt. Ich war immer schon fasziniert von der Verwendung von Farbe in der Architektur, denn man kann durch den Einsatz von Farbe einen veränderlichen



Eindruck des Gebäudes erzeugen. Damals war ich an der Frage interessiert, welche Farbe am ehesten keine Farbe wäre, und so kam ich auf dieses sehr, sehr helle Blau. Wir sprechen jetzt über Erinnerungen: Als Kind hat meine Mutter mir erzählt, dass sie immer ein bisschen blaue Wäsche in die Weißwäsche tut, weil das Weiß dann noch strahlender würde – und ich hielt das für verrückt. Blau macht doch Weiß nicht weißer! Und in der Schule war ich immer der Typ mit diesen leicht grauen T-Shirts! Aber ich habe entdeckt, dass sie natürlich doch Recht hatte. Wenn das Licht hell auf dieses Weiß scheint, dann wird es wirklich strahlender. Diesen Effekt haben wir bei der Farbe der Erasmusbrücke verwendet – auf manchen Fotos wirkt sie leicht hellblau, aber auf den Tagfotos strahlt sie weiß. Ähnliche Effekte findest du z. B. in der Glasfassade vom Het Valkhof Museum, die zwischen Grün und Blau changiert, und einen ähnlichen Effekt haben wir auch beim NMR-Laborgebäude in Utrecht erzeugt.

Als das Mercedes-Benz-Museum 2006 fertig gestellt wurde, gab es eine große Ausstellung eurer Arbeiten im Deutschen Architekturmuseum. Dort wurden eure Projekte anhand von fünf verschiedenen „design models“ kategorisiert. Wie viele sind es heute?

Wir arbeiten mit vielen Modellen. Aber es geht nicht darum, wie viele man benutzt, sondern wie man sie anwendet. Es ist vor allem wichtig, nicht den Weg einzuschlagen, den die Modernisten gegangen sind. Die glaubten an das Raster als ein heiliges, universelles System. Die modernen Architekten haben auch schon viel mit Diagrammen gearbeitet, aber sie wollten dadurch nur eine Reduktion erreichen – man nimmt ein Modell und dann baut man das Modell. Das ist nicht was uns interessiert – wir wollen, dass sich diese Modelle in unseren Projekten ganz entfalten. Entfaltung statt Reduktion. Statt ein einziges, ideales, universell einsetzbares Modell zu finden, will ich sie operativ und experimental halten, sie sollen sich ständig entwickeln. Jedwedes Raster produziert doch vor allem eines: viele tote Endpunkte. Dagegen habe ich noch zu Studienzeiten die Idee entwickelt, diese Enden miteinander zu verbinden und ich kam auf das Möbiusband! Ich war so aufgeregt von dieser Idee, man könnte tatsächlich einen kontinuierlichen, endlosen Raum schaffen. Ich bin bis heute begeistert von dieser Idee des endlosen Raumes.

Würdest du eure Arbeitsweise ganz generell als „experimentell“ bezeichnen?

Natürlich. Über die Beschäftigung mit den Design-Modellen haben sich gewisse Serien in unseren Arbeiten ergeben, aber spätestens nach fünf Projekten kommt der Het Valkhof Museum Nijmegen, Niederlande 1995-1999 Mercedes-Benz Museum Stuttgart, Deutschland 2001-2006 Moment, an dem wir uns sagen, dass wir das Konzept verändern müssen. Wie mit der Farbe. Es gab diese „Blaue Periode“, jetzt benutzen wir sehr starke Farben – wie im Agora-Theater in Lelystad oder beim Galleria Store in Seoul. Unsere Architektursprache verändert sich. Lustigerweise gibt es viele Leute, die das kritisieren. Es gibt viele Architekten, deren Architektur man sofort wieder erkennt, weil sie sehr konsistente, repetitive Arbeitsmethoden haben. Aber das will ich nicht. Ich will Unterschiede in meinen Arbeiten haben – je mehr desto besser. Ich bin fast stolz darauf, wenn Menschen uns dafür kritisieren. Wir experimentieren also immer noch. Aber natürlich nicht jedes Mal – als Architekt ist man ja für das Budget verantwortlich und Experimente erfordern eine sehr präzise Recherche. Wir wissen inzwischen immer besser, wann wir experimentieren können und wann nicht. Wenn der Kunde wirklich an Originalität interessiert ist und begreift, was dafür notwendig ist, dann probieren wir sehr gerne Dinge aus, die noch nie ausprobiert worden sind.

Aber auch in eurer Arbeit gibt es gewisse Serien und konsistent weiter entwickelte Idee...


Ja. Es gibt Themen, die immer wieder in unseren Projekten auftauchen. Aber diese Ideen entwickeln sich weiter und produzieren neue Einfälle. Ich mag die Vorstellung, dass man unsere Gebäude anhand ihrer konzeptionellen Idee als Teil einer Serie wiedererkennen kann.




Unser “Blob-Box-Modell” zum Beispiel findet sich im Het Valkhof Museum, im Bahnhof von Arnhem, in der VilLA NM und im Musiktheater in Graz. Aber das ist schwer zu erkennen, denn gerade dieses Modell entzieht sich ja bewusst jeder stilistischen Debatte! Wir versuchen eben nicht, die Verwendung von Rastern aus dogmatischen Gründen zu vermeiden. Raster sind sehr hilfreich bei Büro- oder Wohngebäuden – aber Infrastrukturen wie Züge und Autobahnen kann man nur sehr schwer in gerasterte Boxen stecken. Sie brauchen Rampen und Spiralen. Diese Argumentation führt zu einer Verknüpfung der beiden Modelle je nach den funktionalen Ansprüchen des Gebäudes. Daher sind beinahe alle unsere Projekte Infrastrukturen – auch das Mercedes-Benz-Museum ist mit seiner Erschließung in Form einer doppelten, dreidimensionalen Helix um einen großen Luftraum vor allem eine große Infrastruktur. Wir haben dessen innere Struktur aus den Kleeblatt-Formen der Autobahnkreuzungen entwickelt. Im Grunde genommen, wenn man auf den Lageplan sieht, dann sieht es aus wie ein leicht verrutschtes Autobahnkreuz. Wichtig sind uns die transformativen Aspekte dieser Kombination aus Blob und Box und wie wir die Schnittflächen gestalten können. Hier liegt vielleicht das Geheimnis unserer Architektur: Wir benutzen das Raster, wir benutzen die Box und den Blob. Das kümmert uns nicht. Viele glauben ja, dass Blob und Box sich unversöhnlich an den entgegengesetzten Enden der Skala gegenüber stehen und das sich die Architekten nur entweder für das Eine oder das Andere entscheiden können. Ich würde die Architektur gerne ganz von diesen stilistischen Diskussionen befreien.

Insofern gibt es also auch Gemeinsamkeiten mit der Moderne, zum Beispiel mit ihrem Funktionalismus.

Ja, natürlich. Ich habe von dem Widerspruch zwischen Funktion und Ästhetik gesprochen und wie wir versuchen, dieses Modell zu erweitern. Ich behaupte, das Mercedes-Benz-Museum strahlt eine gewisse Ruhe aus, vielleicht ähnlich wie ein Gebäude von Mies van der Rohe. Wie erreichen wir das? Durch die Wiederholung und Anordnung einer relativ kleinen Nummer geometrischer Elemente im Raum. Das habe ich früher nie gut genug erklärt, aber wir arbeiten schon immer mit Konzepten der Wiederholung und der Serienproduktion. Das KARBOUW-Gebäude bestand aus mehreren asymmetrischen Kurven, aber diese Kurven haben wir aus nur drei verschiedenen Elementen zusammengesetzt und im Möbius-Haus haben wir nur drei unterschiedliche Winkel benutzt. Die Moderne glaubte, Ausgewogenheit ausschließlich mit rechteckigen Räumen erzeugen zu können – aber unsere Anordnung serieller Elemente erlaubt uns sehr komplexe Räume, die dennoch die Ruhe eines rechteckigen Raumes ausstrahlen können.



Würdest du demnach zustimmen, dass UNStudio sich mehr für die perfekte innere Organisation eines Gebäudes als für dessen Form interessiert?

Definitiv. Ich habe mich noch nie speziell für die Form eines Gebäudes begeistert. Ich glaube an die Organisation eines Gebäudes und wie diese Organisation das gesamte Design durchdringen kann.

Ist die Form dann irrelevant?

Nun, in gewisser Hinsicht schon. Form muss mit Informationen aufgeladen sein! Dann ist es das perfekte Gebäude. Wenn die Form nur geformt ist, dann interessiert es mich nicht.

Wäre das also das Hauptanliegen in all deinen Projekten: die mit Informationen aufgeladene Form zu finden?

Ja, aber es geht um noch mehr. Gebäude müssen auch kommunizieren: Wenn das Gebäude kein „afterimage“ erzeugt, dann ist es keine gute Architektur. Unter „afterimage“ verstehe ich das, was einem im Kopf bleibt wenn man ein gutes Buch gelesen, ein faszinierendes Gemälde oder einen schönen Film gesehen hat. Du erinnerst dich an sie, sie schaffen Erinnerungen – ein Bild, das dir im Kopf bleibt. Ein gutes Gebäude muss das auch können, es soll ein „afterimage“ im Menschen hinterlassen. So entstand ja überhaupt erst mein Interesse an Architektur – ich sah Gebäude und dachte: „Wow! Erstaunlich!“. Und ich möchte, dass meine Gebäude einen ähnlichen Eindruck hinterlassen.




Das Gespräch führte Florian Heilmeyer.

Florian Heilmeyer lebt und arbeitet mobil, seit 1978 überwiegend in Berlin. Architekturvermittlung in Ausstellungen und Texten. Arbeitet als freier Journalist, Kurator und Redakteur. Schreibt regelmässig für Deutsches Architektenblatt, MARK – Another Architecture, Werk Bauen + Wohnen u.a. Redakteur beim Baunetz. Zuletzt war er an den Ausstellungen „Updating Germany“ (2008), „Shrinking Cities“ (2007/08), „Unaufgeraeumt – As Found“ (2007), „Talking Cities“ (2006) und „Bewegtes Land“ (2005) beteiligt.

Projektleitung: Andrea Nakath

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