Crystal Talk
Text: Norman KietzmannFotos: Asymptote Architecture

Interview

Interview nagler


Hani Rashid

Viele der Projekte, an denen Sie mit Ihrem Büro Asymptote gearbeitet haben, waren von Anfang an als experimentelle Konzepte gedacht, die nicht zwangsläufig in fertigen Gebäuden münden sollten. Welche Rolle spielt diese Idee von Architektur jenseits des Gebauten (architecture beyond building) dabei für Sie?

Ich bin davon überzeugt, dass es keine Architektur ohne eine Architektur gibt, die über Architektur hinausgeht. Denn es gibt viele Gebäude in der Welt, aber nicht jedes Gebäude ist Architektur. Und viele architektonische Arbeiten sind keine Gebäude. Aus diesem Grunde benutze ich den Begriff Architektur gerne als Verb: etwas konstruieren. Die Filme von Jean-Luc Godard sind perfekt konstruierte filmische Geschichten. Die Musik von Sibelius ist ebenso perfekt konstruierte mathematische Mutation.

Was macht diese Beispiele für Sie so besonders?

Die Art und Weise wie sie zusammengefügt sind. Es ist dieser Habitus, der aus der Moderne rührt, dass wir dazu neigen, sofort anzunehmen, dass der Architekt ein Gebäude errichtet. Eigentlich muss der Architekt jedoch wie ein Filmregisseur eine Reihe von Fachleuten zusammenbringen. Was uns von Filmemachern unterscheidet, ist die Tatsache, dass wir Dinge im Raum schaffen. Mir hat immer die Tatsache gefallen, dass ein Filmemacher einen sehr guten Kameramann braucht, ein sehr gutes Drehbuch, gute Toningenieure, denn auch der Architekt muss gute Ingenieure um sich versammeln, die zum Beispiel am besten mit Glas oder Technologien arbeiten können. Am Ende stehen wir vor der Aufgabe die Symphonie mit all ihren Aspekten bzw. Leuten die hineingehören, zusammenzufügen. Und dann wird der Architekt gefragt: Warum ist Ihre Arbeit so besonders? An diesem Punkt gewinnt die Architektur jenseits der Architektur an Bedeutung, denn unsere einzige wirkliche Kompetenz liegt “da draußen” und nicht “hier drin”

Worin liegt dann die Herausforderung für die Architekten?

Die traditionelle Definition des Architekten als Baumeister ist eine veraltete Vorstellung. Eigentlich agieren wir doch viel eher wie Regisseure. Mein Studio in New York ist eine Gemeinschaft. Dort arbeiten viele großartige Leute für mich, die in verschiedenen Bereichen Experten sind. Sie sind sehr kompetent und sehr begabt. Sie wissen was sie tun. Aber letztlich ist es der Architekt, der das Licht, Raum, Metaphysik, Poesie oder Schönheit kreieren muss. Dafür gibt es keinen anderen Experten. Es gibt keinen Consultant für Schönheitsfragen, der dir sagt, wie Schönheit herzustellen ist, oder eine menschliche Umgebung, ein inspirierender Raum oder wie man eine Atmosphäre des Wohlbefindens erzeugt. Dafür gibt es keine Berater. Um dies zu erreichen, müssen wir an den Grundlagen arbeiten und experimentieren. Ich glaube, das ist sehr wichtig. In meinem Büro nehmen wir uns immer, egal wie viel zu tun ist, Zeit für experimentelles Arbeiten.


Ich habe gehört, Sie sind gerade in Ihr neues Studio in New York umgezogen?

Ja, wir sind im August umgezogen und sind sehr froh, da wir nun Raum für ein 500 Quadratmeter großes Forschungslabor haben. Wir haben vier Stockwerke und das Erdgeschoss ist vollständig dem experimentellen Arbeiten vorbehalten, wie zum Beispiel für die Arbeiten, die wir auf der Biennale gezeigt haben. Das Geld, das wir mit unserer erfolgreichen Arbeit verdient haben fließt in die Forschungsarbeit, es ist nicht so, dass wie nur große Bauvorhaben abwickeln und uns auf unseren Lorbeeren ausruhen.




Sie erwähnen gerade Ihre Installation für die diesjährige Architekturbiennale in Venedig mit dem Titel „Prototyping the future“. Erklären Sie uns bitte, was es damit auf sich hat.

Hier geht es darum, eine experimentelle Arbeit zu kreieren, die es uns erlaubt Dinge zu untersuchen, denen wir in der Architektur schon länger keine Aufmerksamkeit mehr gewidmet haben, nämlich die Interaktion zwischen dem Realen und dem Digitalen. Es geht um die Frage, wie ein Ort geschaffen wird, der tatsächlich real ist, jedoch dabei die Wirkung, Einflüsse und die Kraft aufweist, die wir aus digitalen Mitteln kennen, ob es nun Animation, digitale Fertigung oder eine Art von digitalem Delirium ist, für das wir uns interessieren. Ich bezeichne diese experimentelle Arbeit als “architektonischen Windkanal,” in dem wir versuchen, in einem realen architektonischen Raum bestimmte Wirkungen und Ansätze herzustellen. Die Arbeit ist von Video, Film, Computer inspiriert, aber sie weist eine reale Materialität auf und existiert als Modell für mögliche architektonische Projekte.


Interessanterweise erinnern einige Details an Knochen oder andere Vorbilder aus der Natur…

Ja, weil wir uns für die Verbindung oder das Wechselspiel zwischen der Schönheit des Körpers – die Vorstellung von Symmetrie und die Art und Weise wie der Körper funktioniert – und dem technologischen Körper interessieren, wie zum Beispiel der Körper eines Airbus 380 oder eines Formel I Wagens. Wir versuchen das Wechselspiel zwischen technologischem und menschlichem Körper zu bestimmen. Diese Arbeiten werden zu hybriden Körpern. Sie haben gewissermaßen sinnliche und organische Eigenschaften. Im Hinblick auf Geschwindigkeit, Bewegung und Schnelligkeit sind sie jedoch wie Hochleistungswagen gebaut. Diese Mischung ist faszinierend.

Aerodynamik sollte also auch in der Architektur zu einem wichtigen Kriterium werden?

Ich glaube, das denke nicht nur ich. Wenn ich in einem Flugzeug sitze, kennt meine Begeisterung angesichts der Maschine und Tragflächen keine Grenzen, es ist, die Windbewegung eingeschlossen, ein solch wunderbares technologisches Objekt. Aber wenn man über die Tragflächen hinausschaut, sieht man Wolken und Wolken sind sowieso die schönsten Gebilde, die man sich vorstellen kann. Dagegen mutet die Architektur geradezu unscheinbar an, diese Verbindung aus Fliegen, Bewegung, Geschwindigkeit gepaart mit einer poetischen, ja romantischen Vorstellung der menschlichen Existenz. Ich glaube, es gibt das Bedürfnis nach Ruhe, Metaphysik, nach Poesie und Schönheit. Das ist ein wesentlicher Aspekt des menschlichen Geistes.

Was bedeutet für Sie Schönheit?

Ich finde, dass sich die traditionelle sozusagen westliche Vorstellung davon verändert. Die Mutterschaft verändert sie, die elektronischen Medien, auch Photoshop. In der Architektur versuchen wir sie nun neu zu definieren. Und meine Thesen haben wiederum etwas mit der Frage zu tun, warum wir bestimmte technologische Objekte als schön empfinden. Dies erklärt sich aus ihrer Verwandtschaft zur Natur. Es gibt eine starke Verbindung zwischen der Entdeckung von Form, Materialien und Technologie und der natürlichen Form. Aber heute ist es aufgrund der digitalen Technologie anders. Einen Knochen oder Flügel einfach zu imitieren ist nicht mehr interessant für uns. Es geht vielmehr um die Ergründung der Dynamik und des Bewegungsaspektes dieser Dinge.




Als eine Verschmelzung von natürlich und künstlich?

Heute – und es ist ziemlich heikel dies so zu sagen – gibt es keine Natur ohne Technologie. Meine Schwester ist Archäologin und sagte einmal etwas wirklich Seltsames zu mir, was ich zunächst auch ablehnte. Sie erzählte mir, dass einer ihrer Freunde ein Forschungsprojekt durchführt, im Rahmen dessen unberührte Teile der Welt entdeckt werden sollten, also Orte, an die nie ein menschliches Wesen seinen Fuß gesetzt hat. Und sie erklärte mir, dass es solche Orte praktisch nicht mehr gibt, noch nicht einmal auf dem Gipfel der Alpen oder dem Nordpol. Auch dort haben wir unsere Spuren hinterlassen. Der Gedanke, dass der Mensch in der Vergangenheit jeden Teil der natürlichen Welt erobert und terrorisiert hat, in Verbindung mit der Tatsache wo wir uns heute befinden hinsichtlich elektronischer Medien, Medizin, Wissenschaft, Technologie bedeutet, dass man das eine nicht vom anderen trennen kann. Ich glaube nicht, dass es so etwas wie die reine Natur gibt. Denn wenn man sagt: “Ja, das gibt es” kann ich Sie an einen seltsamen Ort in der Natur führen und ein Mobiltelefon klingelt, was nicht heißt, dass ich das negativ finde. Aber ich sage: Warum finden wir nicht eine poetische Alternative, in der Natur und Technologie zusammenkommen? Je mehr wir als Architekten diesen Gedanken einschließen, verstehen und dies steuern, desto größer ist die Chance jene Schönheit zu kreieren, die nicht nur eine ältere, kontaminierte und verschmutzte Vorstellung von Schönheit ist.


Sie sprachen gerade Ihre Faszination für Wolken an. Sollte deren Immaterialität und Veränderlichkeit auch für die Architektur als Vorbild dienen?

Ich glaube die Architektur hält einige Tücken bereit, die die visionären Architekten schon seit Piranesi zu überwinden suchen. Eine ist die Schwerkraft und die andere die Bewegung. Die Schwerkraft war aus irgendeinem Grunde nie ein Thema. Die Bewegung hingegen, ob wir nun über Archigram reden und ihre laufenden Städte oder über unser Projekt – die Stahlwolke von 1988, unser erstes kinetisches Architekturprojekt – ist in gewisser Weise eine Zielsetzung. Formveränderung ist ein anderes Ziel auf der Basis einer dezidiert vergleichenden Betrachtung. Ich glaube, bei diesem Experiment geht es darum, wie wir Form herstellen, ihre Dichte verändern, ihre Geschwindigkeit, ihre Präsenz, indem wir herkömmliche zusammen mit digitalen Mitteln verwenden. Das virtuelle Guggenheim Museum von uns ist ein, seine Form völlig veränderndes Museum. Und diesen Aspekt habe ich immer im Hinterkopf, es ist eine Art Besessenheit. Darum sind diese Wolken so interessant.

Das Interessante an dem Projekt des virtuellen Guggenheims ist sicher auch der Fakt, dass Faktoren wie Statik oder Materialität außer Kraft gesetzt sind…

Als Kinder hatten wir alle diese Träume, in denen man eine Tür öffnet und in einen anderen Raum eintritt, in dem sich direkt neben deinem Schlafzimmer eine ganze völlig neue Welt eröffnet. Als wir uns mit der virtuellen Architektur des Guggenheim Museums befassten, haben wir diese Tür geöffnet. Wir fanden uns in einem unendlichen Raum wieder, ohne Schwerkraft jedoch mit zahlreichen Möglichkeiten der Formveränderung. Wir waren überrascht und fasziniert. Leider war die Welt noch nicht wirklich bereit. Vielleicht waren wir etwas zu früh am Start. In zehn, zwanzig, dreißig Jahren von nun an wird es immer mehr Interaktion zwischen Virtualität und Realität geben. Das ist unser Forschungsgebiet. Aber mir gefällt es in dieser Zeit zu leben, ich kann mich noch erinnern, dass ich sogar als ich noch in der Schule war, dachte, dass es wunderbar gewesen sein muss als Architekt 1892 zu leben, als die moderne Architektur aufkam, genauso wie es wahrscheinlich toll war, während der Renaissance in Italien Architekt zu sein, als die Zentralperspektive entdeckt wurde.




Ihr Bruder Karim Rashid hat einmal gesagt, dass für ihn die Sechziger Jahre maßgeblich bestimmend waren. Wie ist es mit Ihnen?


Mein Bruder und ich waren in den sechziger Jahren sehr jung. Unser Vater besuchte mit uns jedoch die Expo’67 in Montreal, die für ihn eine völlig neue Welt eröffnete. Und ich glaube, dass uns das in gewisser Weise auch angesteckt hat. Wir hatten von da an vor unserem inneren Auge ein Bild der Zukunft, das wir auf unterschiedliche Weise umzusetzen versuchen. Es war aber auch eine völlig andere Zeit und ich habe persönlich erkannt, dass jene Experimente abgeschlossen sind. Auf der Biennale in Venedig befand sich neben unserer Arbeit eine Wolkeninstallation 1968 von Coop Himmelb(l)au. Ich sprach mit Wolf Prix darüber und wir hatten einen kleinen Disput. Das war wirklich sehr spaßig. Ich sagte zu ihm: „ Schön, dass Du Deine Jugend wieder gefunden hast.“ Er sagt daraufhin irgendetwas Freches über meine Arbeit und ich antwortete ihm, dass wir uns nun einen anderen Ansatz aus seiner Ära aneignen würden. Er zeigte sich einverstanden und sagte: „Davon haben wir geträumt.“ Ich finde, das ist ein sehr interessantes Zeichen. Und ich hoffe, dass ich mich in dreißig Jahren einer jüngeren Generation von Architekten gegenüber sehe und sagen kann: „Davon habe ich geträumt.“

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Interview: Norman Kietzmann
Norman Kietzmann studierte Industriedesign in Berlin und Paris und schreibt als freiberuflicher Journalist über Architektur und Design für Publikationen wie Baunetz Designlines, Deutsch, Plaza, Odds and Ends. Er lebt und arbeitet in Mailand.

Projektleitung: Andrea Nakath

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