Crystal Talk
Text: Jeanette KunsmannFotos: Hainsley Brown, Cristobal Palma, diephotodesigner

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Es gibt nicht viele Architekturbüros, die mit ihren ersten Projekten so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben wie Plasma Studio. Man könnte fast sagen, dass sie mit ihren Entwürfen nicht nur eine völlig neue Raumwahrnehmung fordern, sondern jegliche Konventionen auf den Kopf stellen.

Gegründet haben Eva Castro und Holger Kehne „Plasma Studio“ 1999 in London. Wie viele Architekten arbeiten sie im East End, kaum eine halbe Stunde vom Zentrum entfernt. Ihre Architektur-Experimente entstehen im fünften Stock eines grauen Sechzigerjahreindustrieklotzes, nebenan Künstlerateliers, Grafikagenturen und Lagerräume. Von hier blickt man auf die Jogger am Regent’s Canal und die Bürotürme der Londoner Skyline.

Die kurze Definition von Plasma auf ihrer Internetseite klingt wie eine Herausforderung: In der Physik beschreibt der vierte Aggregatzustand ‚Plasma’ einen besonderen Zustand der Materie, der Energie leitet. Und davon haben Eva Castro, Holger Kehne und Ulla Hell eine Menge.

Zusammen sind sie eine bunte Mischung: Eva Castro hat in Venezuela und in London studiert, Holger Kehne in Münster und London, Ulla Hell studierte in Innsbruck, Delft und Eindhoven. Während Holger Kehne und Eva Castro nach dem Studium an der Architectural Association (AA) in London geblieben sind und nun auch beide dort unterrichten, führt Ulla Hell seit 2002 die Südtiroler Dependance von Plasma Studio.

Durch eine Reihe kleinerer Projekte – Wohnungen, ein Büro, ein Laden in London – und einer Serie experimenteller Wohnhäuser in Südtirol sind Plasma Studio vor allem für ihre fließenden Räume, die extremen Geometrien und die spitzen Winkel bekannt. Ihre Beteiligung an dem eingeladenen Wettbewerb für das Design-Hotel Puerta America in Madrid markiert ihren internationalen Durchbruch - schließlich mussten sie sich neben Architekten und Designern wie Norman Foster, Jean Nouvel, Arata Isozaki, John Pawson und Zaha Hadid behaupten.



Strata Hotel

Dass sie das ganz locker geschafft haben, zeigt ihre spektakuläre Gestaltung des Flurs und der einzelnen Hotelzimmer in der vierten Etage: Aufgebrochene Flächen bei Fußboden, Flur, Zimmerwänden und Decke entwickeln verschiedene geometrische Faltungen und erzeugen so ein ganz neues Raumempfinden für ein Hotel, das sonst für lineare Wiederholungen und stereotypische Raumeinheiten bekannt sind. Als das Hotel 2005 eröffnete, zierten die Räume von Plasma Studio sämtliche Titelblätter der einschlägigen Architekturmagazine, und die Architekten bekamen für ihr Werk Preise und Auszeichnungen. Aber Folgeaufträge für Hotels, Bars oder Clubs ergaben sich nicht trotz der neuen internationalen Bekanntheit.


Nicht direkt jedenfalls, sondern zurück in Südtirol hatten sie durch Ulla Hell und ihre engen Kontakte die Möglichkeit, ihre Häuserserie vor Ort fortzusetzen. 2006 wurde das Esker House (Innichen), 2007 das D Cube House (Sexten) und das Tetris House (Innichen) fertig gestellt. Alles kleinere Wohnhäuser, die sich auf der einen Seite der traditionellen Struktur formell entgegensetzen und sich auf der anderen Seite durch eine gleichartige, lokale Materialwahl und fließende Räume in Landschaft eingliedern. Das Strata Hotel (Sexten), eine Landmarke am Hang der Dolomiten, wurde erst in diesem Jahr fertig gestellt. Das Besondere des Hotels sind die horizontalen Schichtungen, die wiederum von der Holzlammellenstruktur der Fassade aufgenommen werden. Gelobt von der Presse – Ein Solitär, der zeigt, wie der traditionelle Werkstoff Holz zum architekturbestimmenden Charakteristikum eines zeitgemäßen Gebäudes werden kann, schreibt die AIT (Juni 2008), brauchte Ulla Hell trotzdem bestimmt eine Menge Überredungskunst, bis sich die Besitzer des 4-Sterne-Hotels auf die experimentelle Architektur von Plasma Studio eingelassen haben.

Die Arbeit von Plasma Studio lebt ausdrücklich vom Spannungsfeld zwischen London und Südtirol. Beide Büros beeinflussen sich und profitieren voneinander. Durch ihren Standort in London haben sie mittlerweile auch Projekte außerhalb Europas: Aktuell arbeiten sie an einem Masterplan für Longgang in China, einem Gebiet von 19 Millionen Quadratmetern. Im Oman bauen sie verschiedene, sehr individuell gestaltete Villen, und für eine Region am Golf haben sie zwei unterschiedliche arabische Wohntypologien entwickelt, die vor Ort aus den lokalen Baustoffen gebaut werden können. Esker Haus San Candido, Italien, 2006 Strata Hotel/ Erweiterung Residence Königswarte Alto Adige, Italien, 2007


Vor dem Hintergrund ihrer weltweiten Aktivitäten wirkt ihr Studio in London unerwartet bescheiden: ein knapp 50 Quadratmeter großer, offener Raum, in dem sechs Schreibtische, einige Bücherregale und eine zusammengeklappte Tischtennisplatte stehen. Die Schläger liegen versteckt unten in einem der Regale. Auf den Fensterbrettern stapeln sich kleine Modelle, und die Toilette ist draußen auf dem Flur. Die Wände sind gerade, die Decke ist niedrig und die Ecken haben einen rechten Winkel: Eine Art Architektur-Experimentier-Kasten. Dort haben wir Eva Castro und Holger Kehne getroffen, um mit ihnen über ihre Architektur, das Ping Pong zwischen London und Südtirol und eine kritische Architektenszene zu sprechen.


Puerta America