Crystal Talk
Text: Amber SayahFotos: Klaus Mellenthin, Roland Halbe

Interview

Interview lro

LEDERER + RAGNARSDÓTTIR + OEI
Die Temperamente ergänzen sich: Arno Lederer, gelassen, spottlustig, und Jórunn Ragnarsdóttir, lebhaft, willensstark, sind nicht nur im Büro, sondern auch im Leben ein gut eingespieltes Team. Marc Oei, der Mann mit chinesischen Wurzeln und schwäbischem Zungenschlag, ist der ruhige, zurückhaltende Dritte in der Partnerschaft. Im spartanisch möblierten Besprechungszimmer des Büros kommen sie zum eher seltenen gemeinsamen Interview zusammen.


Sie arbeiten im dicht bebauten Stuttgarter Westen in einem Bürogebäude aus den fünfziger Jahren. Sind Sie hier eingezogen, weil Ihnen der etwas angejahrte Charme des Hauses gefiel?

Lederer
Nein, die Räume sind nicht besonders praktisch, aber die Miete ist sehr günstig. Das spielt bei uns schon eine Rolle, weil wir wahnsinnig knapp kalkulieren. Alles was wir hier nicht ausgeben, kann man in die Projekte stecken.

Ragnarsdóttir
Es sind wirklich nicht unser idealen Räume, eher eine Art von Unräumen. Wir diskutieren immer wieder die Vor- und Nachteile dieser Aufteilung in Einzelbüros. Mir wäre ein Großraumbüro lieber.

Oei
Aber die Lage ist toll, ich bin nicht so unzufrieden.

Wie viele Mitarbeiter haben Sie?

Lederer
Zur Zeit 25 Leute, Architekten, Praktikanten und eine Sekretärin. Die Mitarbeiterzahl bei uns ist ziemlich konstant, die meisten Mitarbeiter sind fest angestellt.


Ragnarsdóttir
Das sorgt für klare Verhältnisse und angenehmes Arbeitsklima.

Aber ganz schlecht scheint Ihre Auftragslage demnach nicht zu sein.

Oei
Trotzdem fehlt uns bei den Projekten so ein richtig dickes Schiff. Parallel zu den laufenden Projekten machen wir aber permanent Wettbewerbe, ungefähr vierzehn im Jahr, auch dazu brauchen wir die Hilfe der Mitarbeiter.

Sind Wettbewerbe die wirtschaftliche Grundlage Ihres Büros oder erhalten Sie zunehmend auch Direktaufträge?

Lederer
Nein, die Hauptbasis für die Projekte sind Wettbewerbe. Zwei oder drei direkte Aufträge haben wir auch, die verlaufen aus irgendeinem Grund aber immer unglücklich.


Seit wann gibt es diese Partnerschaft, oder anders gefragt: Wie haben Sie sich füreinander entschieden?

Lederer
Das Büro hat 1979 angefangen mit dem Kollegen Sambeth. Das ging relativ schnell auseinander, weil wir zwei eigentlich keine Arbeit hatten.

Ragnarsdóttir
1982, während meiner Diplomarbeit, habe ich Arno getroffen. Er hat mich aufgrund meiner Diplomarbeit gefragt, ob ich mit ihm einen Wettbewerb für einen Kindergarten in Tübingen machen würde. Danach fanden wir, dass wir unsere erfolgreiche Zusammenarbeit fortsetzen müssten, weil wir gleich mit diesem ersten Wettbewerb den ersten Preis gemacht hatten. Deswegen haben wir unmittelbar danach geheiratet, da ich als Ausländerin das Land sonst hätte verlassen müssen. 1985 bin ich dann als Partnerin eingestiegen.


Lederer
Sie hat mir einen Heiratsantrag gemacht.

Ragnarsdóttir
Ja, warum auch nicht? Für mich war das eine sehr praktische Angelegenheit.

Oei
Ich kam als Mitarbeiter 1988 ins Büro. Ich habe bei Arno Diplom gemacht und zwei Wochen vor Abgabe des Diploms angefangen. Nach vier Jahren habe ich mit dem Gedanken gespielt zu gehen, aber wie es dann so ist ... ich blieb und wurde Partner.

Sie alle haben in Stuttgart studiert. Spielt dieser Hintergrund eine Rolle für Ihre Architektur?

Lederer
Nein, dazu waren die Lehrer und die Ausbildungsgänge zu unterschiedlich.

Ragnarsdóttir
Die architektonische Haltung hat sich erst im Lauf der Zeit entwickelt und ist immer noch ein lebendiger Prozess. Mit der Zeit sind wir zusammengewachsen.

Man würde sich aber wohl kaum zusammentun, wenn es nicht einen Grundkonsens gäbe.


Lederer
Konsens gibt es zunächst mal darüber, dass der gewonnene Wettbewerb nur der Anfang eines langen Weges ist. Es ist sicher typisch für unser Büro, dass nach dem Wettbewerb die Projekte sich ganz stark verändern. Das ist ein Prinzip, das wir schon seit der Bürogründung haben. Die Architektur ist ein Entwicklungsprozess, fertig ist das Projekt erst ganz am Ende.

Wie arbeiten Sie zusammen? Haben Sie eine bestimmte Aufgabenteilung?

Lederer
Das ist bei uns relativ unorganisiert. Eine klare Arbeitsteilung gibt es nicht, aber bestimmte Schwerpunkte. Jeder übernimmt auch einen Teil der unangenehmen Aufgaben. Jórunn muss sich zum Beispiel um die Finanzen kümmern ...


Oei
Und Streitigkeiten sind meistens meine Sache.

Sind Sie ein guter Schlichter?

Oei
Das muss einem Spaß machen. Es gab tatsächlich mal Jahre in meinem Leben, wo ich dachte, ich würde Jura studieren. Das ist wie ein Hobby für mich, abends lese ich zum Beispiel gern BGH-Online.

Lederer
Ich bin derjenige, der Bauherrenbesprechungen macht und in den Gemeinderat raus muss - was auch unangenehm sein kann.

Ragnarsdóttir
Arno ist von uns nach außen hin am stärksten präsent. Er hat wirklich wunderbare schauspielerische Fähigkeiten, die ihm sehr helfen, unsere Ideen und unsere Haltung nach außen darzustellen.


Wie entwerfen Sie?

Lederer
Unsere Arbeitsmethoden sind schon ein bisschen unterschiedlich. Mark Oei zieht seine Wettbewerbe allein durch, der will alles selber zeichnen. Ich bin irgendwo in der Mitte und Jórunn arbeitet mit Mitarbeitern.

Oei
Wenn es kleinere Wettbewerbe sind, ist man schneller, wenn man es selber macht. Bei großen Wettbewerben geht das natürlich nicht.

Würden Sie Projekte übernehmen, die Sie nach der Entwurfsplanung abgeben?

Lederer
Wir haben zwei oder drei Projekte, die dummerweise so gelaufen sind. Das eine war der Umbau eines Geschäftshauses in Stuttgart. Im Endeffekt haben wir die Fassade bis zum Schluss durchgeplant, obwohl wir dafür nicht bezahlt wurden. Diese Arbeitsweise ist einfach unwirtschaftlich und vor allem unbefriedigend.

Oei
Deswegen übernehmen wir solche Projekte prinzipiell nicht, das sagen wir auch von vornherein, wenn wir zu Wettbewerben eingeladen werden.

Ist es im Lauf der Jahre schwieriger geworden, sich mit dieser Einstellung auf dem Markt zu behaupten?

Lederer
Das kann man so nicht sagen. Schwieriger geworden ist sicher die Ökonomie, also dass die Honorare rückläufig sind, insgesamt weniger Geld zur Verfügung steht, andererseits die Preise für Material und Handwerksleistungen gestiegen sind. Die Schere wird immer größer. Schwieriger wird es daher, dem Bauherrn zu sagen, dass wir uns bestimmte Dinge während des Planens anders überlegt haben, weil es natürlich sofort heißt: Wieso seid ihr da nicht gleich draufgekommen?


Ragnarsdóttir
Diese gemeinsame Auffassung, alles bis zum Schluss neu zu überdenken und zu ändern, ist aber gerade charakteristisch für uns. Ich empfinde dies eher als eine Stärke denn als eine Schwäche.


Gibt es für Sie bevorzugte Bauaufgaben? In den letzten Jahren haben Sie auffallend viele Schulen gebaut.

Lederer
Das ist ein Zufall. Von uns aus streben wir diese Spezialisierung nicht an. Wir machen auch mal ein Badezimmer oder immer wieder mal kleinere Dinge.

Ragnarsdóttir
Aber wir machen natürlich nach wie vor Schulwettbewerbe. In Aschersleben haben wir letztes Jahr eine Schule gewonnen, in Köln ... die Entwurfsarbeit ist zum Teil ökonomischer geworden. Die Analyse des Ortes ist nach wie vor sehr aufwendig, während das Raumprogramm einer Schule zunehmend leichter zu erfüllen ist. Man ist einfach geübter. Dann ist aber noch lange keine Architektur entstanden.

Lederer
Aber wir sind Architekten, die neue Aufgaben immer grundsätzlich und breitgefächert betrachten. Auch beim Schulbau. Außerdem zählt dabei das pädagogische Prinzip. Leistet das Haus, dass soziale Kompetenz geschult wird? Oder geht es nur darum, Schulbaurichtlinien umzusetzen?

Noch einmal zu Ihrer architektonischen Haltung: Eine Ausstellung über Ihr Büro vor ein paar Jahren trug den Titel „Drinnen ist anders als draußen". Das ist eine Aussage, mit der Sie sich von der Leichtigkeit und Transparenz der süddeutschen Nachkriegstradition diametral unterscheiden.

Lederer
Stimmt, das hat uns von Anfang an beschäftigt, dass man heutzutage die Fassade nicht mehr braucht und damit der Raum verschwindet. Oder der Raum ist überall.

Ragnarsdóttir
Und wir wollen vor allem den Raum gestalten.


Lederer
Das geht zurück auf den Unterschied zwischen Corbusier und Mies. Bei Mies sind es immer die vier Zahnstocher und zwei Bierdeckel. Da kannst du nicht nach oben und unten gucken. Bei so einer Architektur ist es natürlich notwendig, dass die Fassade nicht besteht. Bei Corbusier ist es ganz anders, bei dem kommt man rein und schaut immer rauf und runter.

Ragnarsdóttir
Entscheidend ist auch, dass wir diese auf sich bezogene Architektur vermeiden, die sagt: Schau mich an, wie sehr ich mich von allem unterscheide. Unser Ziel ist immer, das Gebäude so einzubinden, dass man für ein ganzes Quartier mitdenkt. Wir versuchen die Struktur zu analysieren und das Vorgefundene aufzuwerten.

Bezeichnend für Sie ist auch Ihr Umgang mit Material. Oft sind es ganz normale Materialien, die aber in ihrem Verwendungszusammenhang ungewohnt und neuartig wirken.


Ragnarsdóttir
Wir bevorzugen Materialien, die man anfassen kann, weil sie sich schön anfühlen und vielleicht Erinnerungen hervorrufen. Es gibt bei uns aber auch ein Umweltbewusstsein. Man weiß zum Beispiel, dass die Herstellung von Aluminium die Umwelt extrem belastet. Wenn man sich das klar macht, dann darf man Aluminium nicht verwenden, oder nur dann, wenn es sinnvoll ist, zum Beispiel in der Flugzeugindustrie. Aber Aluminium an sich ist keine Bereicherung für die Architektur.

Wie halten Sie es denn überhaupt mit der Ökologie?


Ragnarsdóttir
Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Materialität und unserer Technikauffassung. Also, wir haben große Freude daran, dass man irgendwas drehen oder ziehen oder klappen muss, an so kleinen, feinen Sachen. Aber wir haben keine Freude - und das ist das entscheidende – an stummen Dingen. Es ist ja total unerotisch und unhaptisch, wenn alles automatisiert ist. Warum soll man nicht mal die eigenen Körperkräfte einsetzen?

Oei
Das hat auch den Grund, dass unsere Häuser nicht mehr kosten dürfen als andere Häuser. Ich glaube, wenn man zuviel Technik verhindert, bleibt Budget übrig für ordentliches Material und schönere Architektur. Ich hab dabei nicht mal ein schlechtes Gewissen, weil ich weiß, das ist das Dauerhaftere und Ökologischere.

Kommt durch Sie, Frau Ragnarsdóttir, in das Büro ein anderer, vielleicht sogar ein fremder Blick?

Ragnarsdóttir
Mit Sicherheit kommt mit jedem einzelnen ein anderer Blick. Ich würde meine Nationalität niemals verneinen oder hervorheben, aber ich bin natürlich in einem anderen Umfeld und mit anderen Werten aufgewachsen, daher bin ich schon anders geprägt.




Beeinflusst das auch die Architektur des Büros?

Oei
Ich hab hin und wieder gehört, dass bei manchen Projekten vermutet wurde - zum Beispiel in Fellbach -, die Farben kämen von der Isländerin. Das ist die schlichte Wahrnehmung von außen, obwohl es nicht stimmt.


Lederer
Da ist schon was dran. (An Jórunn Ragnarsdóttir gewandt:) Du bist damals mit Deinen Buntstiften gekommen, hast gesagt, ich sei langweilig und hast die Stützen rot gemacht!

Ragnarsdóttir
Ich hatte das Glück, dass ich mit einer Poulsen-Lampe über dem Esstisch aufgewachsen bin. Das ist mehr als man von den meisten Süddeutschen sagen kann.

Lederer
Die Isländer haben schon ein unglaubliches Selbstbewusstsein.

Farbe war gerade ein Stichwort. Auch das fällt bei Ihnen auf: Ihre Gebäude sind oft ungewöhnlich farbig.

Ragnarsdóttir
Das ist relativ und ein internes Reizthema. Wir streiten uns viel und gerne über Farben.

Lederer
Was die Farbe leistet oder nicht, kommt stark aus der Aufgabe heraus. Das hat auch etwas mit dem Licht zu tun. Womit wir gern arbeiten, ist farbiges Licht, mit farbigen Glasfenstern zum Beispiel oder mit Reflektionsflächen.


Ragnarsdóttir
Wissenschaftlich betreiben wir das aber nicht. Wir stützen uns weder auf irgendwelche Farbkreise noch Farblehren, sondern das sind einfach Bauchentscheidungen. Darum können wir uns so wunderbar drüber streiten.

Lederer
Es hängt natürlich oft auch vom Geld ab. Wenn ein bisschen Geld da ist, kann man mit Naturstein oder Ziegel bauen, dann braucht man auch weniger Farbe, die kommt dann vom Material. Bei der Helvetia in Frankfurt konnten wir außen Naturstein verwenden, innen ist alles weiß.

Arbeiten Sie auch im Ausland? Ohne Aufträge in China und Dubai geht es heutzutage doch fast schon nicht mehr.

Lederer
Wir bemühen uns nicht aktiv um solche Aufträge. Solange wir hier Arbeit haben, ist das in Ordnung. Die Qualität der Architektur ist ja unabhängig vom Ort.

Ragnarsdóttir
Wir haben kein Interesse uns als Marke zu etablieren. Wir freuen uns über jedes Projekt, mit dem man auch im Nachhinein zufrieden sein kann. Das ist das Entscheidende.

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