Crystal Talk
Text: Axel SimonFotos: M. Frietsch, R. Waldi, H. Helfenstein

Interview

Interview Knapkiewicz + Fickert

ES FEHLT UNS VÖLLIG AN HALTUNG.
KASCHKA KNAPKIEWICZ UND AXEL FICKERT ÜBER KONSTRUKTION, KITSCH UND COMPUTER


Inzwischen seid Ihr ja Kult.

Kaschka Knapkiewicz
Was?

Eure Wohnungstypen von vor 20 Jahren tauchen heute in Entwürfen von Architekten auf, die Eure Kinder sein könnten.

Axel Fickert
Du meinst den Wettbewerb Wohnüberbauung Selnau in Zürich, den wir 1985 für das Büro Steiger & Partner gezeichnet haben. Er kam nur auf den fünften Platz. Wir schlugen anderthalbgeschoßige Wohnräume vor, was damals als Verschwendung galt. Heute betrachtet man das anders. Solche Räume gelten jetzt als Mehrwert.

Kaschka Knapkiewicz
Das ist schon verrückt. Heute kommt das alles. Auch die Hallenwohnungen, wie wir sie gerade mit dem sechs Jahre alten Entwurf für die "Lokomotive" in Winterthur realisieren, findet man heute in Wettbewerben.


Ihr geltet als Experten für Wohnungsbau, habt aber auch Projekte realisiert, bei denen die Konstruktion im Vordergrund steht. Sind das beides Aufgaben, bei denen euer atmosphärischer Ansatz besonders gefragt ist?

Axel Fickert
Die Bahnhofsdächer sind stark über die Stimmung entworfen, das Busterminal auch. Das wird von den hoch dekorierten Ingenieuren ja auch kritisch beurteilt.

Kaschka Knapkiewicz
Es sei ein Gebastel.

Axel Fickert
Nicht ohne Grund. Konstruktiv wollten wir keine Medaillen gewinnen.

Du hast mal gesagt, das Busterminal sei keine "intelligente Konstruktion" und damit einen Hieb in Richtung eben dieser Ingenieure ausgeteilt, die versuchen, Raum und Konstruktion zusammen zu denken. Was ist falsch an diesem Versuch?

Axel Fickert
Daran ist überhaupt nichts falsch. Mittlerweile entsteht in der Schweiz jedoch der Eindruck, es sei eine Art Pflicht, das Konzept ausschließlich aus konstruktiven Themen heraus zu entwickeln. Das kann es doch nicht sein. Es gibt so viele Sachen aus denen man schöpfen kann.


Kaschka Knapkiewicz
Wenn wir bei einem Problem die Wahl haben, ob wir es konstruktiv lösen oder atmosphärisch, entscheiden wir uns wahrscheinlich für die Atmosphäre und machen bei der Sauberkeit der Konstruktion Kompromisse.

Es entstehen Widersprüche.

Kaschka Knapkiewicz
Widersprüche ziehen mich magisch an! Sie eröffnen neue Blickpunkte und lösen oft selbst fabrizierte Tabus.

Widersprüche zeigen sich auch in eurem sehr breiten Spektrum architektonischer Ausdrucksweisen. Von Retro bis Dekon.

Axel Fickert
Das hat was mit dem Vorgefundenen zu tun. Bei der "Lokomotive" in Winterthur ist diese Fabrikstadt aus der Jahrhundertwende sehr dominant. Das hat uns auf die Retro-Spur geführt. Wir sehen das sportlich: Die Widrigkeit, kein Stahlfachwerk machen zu können, wie bei den alten Bauten hier, das war der Kick, etwas Neues zu finden, diese Gitterstruktur im Putz...

...die aussieht wie ein Betonskelett.

Axel Fickert
Durch die Thermohaut kannst du Gebäude ja gar nicht mehr gliedern. Es ist alles ein Pullover, den man nur minimal variieren kann. Bei unserem Gitter hat man den Eindruck, es sei massiv, im Material differenziert. Es ist eine Illusion, das ist klar. Aber Außenisolierung IST eben Illusion.

Kaschka Knapkiewicz
Wir suchen nicht nach dem technologisch neuesten Putz, sondern machen hier etwas Barockes. Damit sind wir weiß Gott nicht die Ersten. Palladio hat auch die Teilung einer Steinverkleidung in den Putz geritzt, um billiger zu bauen…

Axel Fickert
Wir erlauben uns, emotional zu sein. Beziehen uns auf Vorhandenes, wie zum Beispiel die Häuser der Wiederaufbauzeit. Dann kann auch mal jemand sagen, das sähe ja aus wie eine Kaserne aus der amerikanisch besetzten Zone, wie neulich ein Kollege.

Es bezieht sich ja nicht nur auf etwas, sondern bildet es 1:1 ab. Das ist wohl das, was euch Manche zum Vorwurf machen: Es ist ein Bild, das nicht offen legt, dass es ein Bild ist.

Axel Fickert
Es ist gar kein Bild, sondern eine direkte Übernahme. Bei unseren Vorbildern ist es auch eine reine Putztechnik, die wir jetzt auf einer neuen konstruktiven Basis anwenden - nämlich der Kompaktfassade, an der man fast nicht mehr vorbei kommt. Wir schätzen einfach einen Wiedererkennungswert, von dem nicht nur Fachleute etwas haben, sondern auch ganz normale Menschen.


Ihr sucht das Populäre.

Axel Fickert
Könnte man sagen, ja.

Kaschka Knapkiewicz
Wir suchen etwas so auszudrücken, dass man es auch versteht. Wie beim Sprechen vermeiden wir auch in der Architektur Fremdwörter und den Kult darum.

Was ist für euch Kitsch?

Kaschka Knapkiewicz
Nichts Schlimmes. Oft etwas Schönes, etwas, das merkwürdig aus dem Rahmen fällt und dadurch Phantasien und Erinnerungen in Gang bringt.


Axel Fickert
Kitsch ist eigentlich kein Problem. Immer weniger. Bei uns nehmen die professionellen Tabus ab. Oder es nimmt der Reiz zu, auch mit dem Abgründigen zu arbeiten. Gewisse Regeln zu brechen.

Kaschka Knapkiewicz
Es ist eine Gratwanderung. Ist etwas kitschig oder naiv? Wenn jemand ein Geländer zusammenbastelt, hat es vielleicht einen viel größeren Reiz, als eins vom Architekten.

Axel Fickert
Die elitäre Architekten-Ästhetik ist in der Sackgasse, weil sie sich auf Eisenglimmer und Chromstahl beschränkt. Und auf das gepflegte Detail. Am Schluss siehst du gar keine Idee, sondern du siehst nur die gepflegte Bauausführung. Und da ändern sich die Zeiten. Ich behaupte: Die Tatsache, dass junge Büros wie EM2N mit anderthalbgeschoßigen Räumen arbeiten, hat auch damit zu tun, dass man mit Details heute nichts mehr gewinnen kann. Bei solchen Räumen verlagert sich die Wahrnehmung weg vom Detail auf vollkommen andere Dinge. Auf räumliche Opulenz zum Beispiel. Man sieht die lausige GU-Ausführung nicht mehr. Das wird zukünftig unser Gebiet sein: Die Aufmerksamkeit zu verschieben.

Ich erinnere mich an den Auftritt des Münchners Andreas Hild als Gastkritiker an Axels Vertretungsprofessur an der ETH Zürich vor sechs Jahren. Er bezeichnete damals einen Deiner Lieblingsentwürfe für ein Doppelhaus sinngemäß als Aneinanderreihung einzelner Episoden. Eine Kritik, die man auch auf eure Projekte anwenden könnte.

Axel Fickert
Vielleicht gelingt es uns nicht, aber uns ist es natürlich ein Anliegen, aus den Episoden eine Einheit zu machen. Das muss aber nicht das gleiche Material oder der gleiche Balkon sein, sondern vielleicht bloß eine Ähnlichkeit in der Verarbeitung der Dinge. Früher waren wir entsetzt über die Idee von Miroslav Šik, es müsse auch der Großmutter gefallen. Heute verstehe ich das.


Woher die Wandlung?

Kaschka Knapkiewicz
Wir werden älter. (lacht)

Was heißt für euch "zeitgemäß"?

Kaschka Knapkiewicz
Etwas liegt in der Luft, taucht an verschiedenen Orten gleichzeitig auf…

Axel Fickert
Dann haben wir das Gefühl, dass wir mit dabei sind, jung sind: Wenn andere, die gut 15 Jahre jünger sind, ähnliche Themen verarbeiten.

Ihr fühlt Euch in der jungen Generation mehr zuhause als in eurer eigenen?

Kaschka Knapkiewicz
Sehr. Die jungen Studenten machen wieder das, was sie wirklich machen möchten.

Bei eurem Busterminal kokettiert ihr mit der Welt des Dekonstruktivismus.

Axel Fickert
Nein, überhaupt nicht. Da haben wir ganz naiv angefangen und plötzlich hat das eine Dynamik gekriegt. Noch schräger! Das ganze ist uns einfach im Modell passiert. Und dann haben wir noch einen draufgelegt.


Eure stilistische Flexibilität ist mir eher von 20jährigen Studenten vertraut, die parallel und ohne Skrupel Steildächer und Blobs zeichnen. Negativ ausgedrückt könnte man sagen, wie ihnen fehlt Euch eine grundlegende Haltung.

Axel Fickert
Absolut richtig. Es fehlt uns völlig an Haltung. Oder unsere Haltung ist, keine Haltung zu haben und jede Aufgabe neu anzugehen. Sowohl emotional, als auch handwerklich.

Kaschka Knapkiewicz
Wenn es zu langweilig wird, muss man Spannung erzeugen. Spannende und gespannte Räume sind das Ziel.

Axel Fickert
Dabei arbeiten wir mit Erinnerungen und haben eine gewisse Neigung zu romantisieren. Auch zu karikieren.

Heißt karikieren nicht auch distanziert blicken, entlarven?

Kaschka Knapkiewicz
Nein, liebevoll! Mit einem Augenzwinkern, wie bei Jacques Tati. Nicht als Provokation.


Eine Frage muss ich noch stellen, schließlich gibt es einen Sponsor für diese Rubrik: Was für eine Rolle spielt der Computer in eurer Arbeit?

Axel Fickert
Mittlerweile eine zentrale. Wir arbeiten sehr bildhaft, mit vielen Renderings, vor allem zum Erarbeiten unserer Ideen.

Kaschka Knapkiewicz
Wir lieben unseren Mac!

Weiter Weiter zu den Arbeiten