Interview
„Who is it??“, schreit Liza Fior fröhlich ins Handy. Sie steht auf einem dröhnenden Vaporetto, die Verbindung ist schlecht. Wir sind zum Interview vor dem britischen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig verabredet und Liza Fior, eine der Kuratorinnen des britischen Pavillons, ist ein wenig im Stress. Dauernd kommt jemand mit einer Frage zur Ausstellung, mit organisatorischen Problemen oder einfach, um schnell ein paar Glückwünsche los zu werden. Als wir sie dann für das Interview in ein ruhiges Nebenzimmer lotsen, will sie das Interview nicht alleine führen. „muf ist mehr als nur ich! Da könnt ihr doch nicht nur mit mir sprechen!“ Schnell ruft sie Alison Crawshaw und Caitlin Elster, die zufällig in der Nähe sind, hinzu. „Let’s get as much muf together as we can“, grinst sie breit. Im folgenden Gespräch bleibt sie so fröhlich und ausgelassen, jedoch hochkonzentriert.
Liza, muf wurde 1995 von vier Freunden gegründet; warum eröffnen Freunde zusammen ein Architekturbüro?
Liza Fior:
Naja, wir haben nicht wirklich geplant ein Architekturbüro zu gründen, es hat sich
vielmehr eher zufällig so ergeben. Ich kannte Juliet Bidgood aus der Zeit meines
Architekturstudiums und war der Künstlerin Katherine Clark begegnet, als wir beide
für die Architectural Association in London arbeiteten. Das vierte Gründungsmitglied
von muf war Katherine Shonfield, eine Theoretikerin und Schriftstellerin, die leider
2003 gestorben ist. Sie ging ein und aus, um zu schauen was wir machen und es mit
uns zu diskutieren.
Wenn es Zufall war, wie hat es dann begonnen?
Liza Fior:
Wir haben mit einer Machbarkeitsstudie angefangen, um herauszufinden, ob
Großbritannien ein Museum für Kunst von Frauen braucht. Aber wir kamen zu dem
Schluss, dass es nicht einer gewissen Ironie entbehrt, wenn wir die Frauenkunst aus
den Kellern der Museen, die sie nicht zeigen, holen und einfach nur in einen anderen
Container sperren. Ricky Burdett lud uns ein, diese Arbeit auszustellen, was wir
in Form einer Installation mit dem Namen „Purity and Tolerance” auch taten. Dann
standen wir plötzlich auf der Auswahlliste für einen Wettbewerb für eine Kunsthalle
in Warschau – und wieder sahen wir uns mit den Beschränkungen einer kulturellen
Institution konfrontiert. Wir waren sehr überrascht, denn es waren nur sechs Büros
eingeladen und wir hatten noch nicht einmal ein richtiges Büro. So ist
innerhalb weniger Monate muf entstanden.
Warum habt ihr euch für den Namen muf entschieden?
Liza Fior:
Als wir für die Kunsthalle in Warschau ausgewählt wurden mussten wir einen Namen
in ein Formular eintragen. Einige männliche Architekten nannten uns „die Mufia”, da
sie es offensichtlich etwas unheimlich fanden, dass sich da ein paar Frauen zusammengetan
hatten. Im Englischen klingt muf ein bisschen…na ja anzüglich.
In eurer kurzen Selbstdarstellung schreibt ihr als Postskriptum, dass muf nicht für „modern urban fabric” steht. Warum ist es euch wichtig dies anzumerken?
Liza Fior:
Den Namen haben sich Leute ausgedacht, die mit der Bedeutung von muf, wie es
in Hicksville verstanden wird, ihre Schwierigkeiten hatten und wollten, dass unser
Name annehmbarer klingt. Einige Leute waren misstrauisch nur weil wir Frauen sind,
die dieses Interesse am öffentlichen Raum teilten und aus verschiedenen Disziplinen
wie der Kunst, Architektur und der Städtebaudiskussion kamen. 1995 während der
letzten Tory-Regierung war es total exzentrisch, sich für den öffentlichen Raum zu
interessieren. Es wurde lediglich Geld für öffentliche Räume aufgebracht, wenn man
beweisen konnte, dass dies dem Stadtteil private Investitionen bescheren würde.
Die frühen Arbeiten von muf waren vor allem eine kreative Kritik an jener Politik.
Und nur 15 Jahre später seid ihr als die Kuratoren des britischen Pavillons die nationalen Vertreter Großbritanniens hier in Venedig.
Liza Fior:
Ja und dies unter einer anderen konservativen Regierung und einem konservativen
Kulturminister, der den Pavillon morgen eröffnen wird. Das heißt an diesem Punkt
schließt sich der Kreis für uns wieder.
Ihr habt die „Villa Frankenstein” als typisches muf-Projekt beschrieben – was ist daran so typisch?
Liza Fior:
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen „Die Steine von Venedig” von John Ruskin,
daher haben wir den Pavillon auch etwas ironisch als „Villa Frankenstein” bezeichnet.
Wir zeigen wie die Briten über ziemlich lange Zeit von der Stadt Venedig wie besessen
waren. Unsere Ausstellung hat die Wiederbelebung dieser Beziehung zum Ziel,
denn wir sind davon überzeugt, dass Gebäude – selbst dieses, das vom Rest der Stadt
isoliert zu sein scheint wie eine britische Botschaft – Ränder haben, die über ihre
Grundstücksgrenze hinausreichen und dass sie Netzwerke aus Beziehungen verkörpern.
Während der drei Monate dieser Biennale haben wir den Pavillon als einen
Ort der disparaten Begegnungen ausgerichtet – für jene, die sich für die gefährdete
Lagune interessieren (die Wissenschaftler) und jene, die die gefährdeten Bezirke von
Venedig repräsentieren (die Schulen). Aber es ist natürlich schwierig diesen Ort
wirklich in einen öffentlichen Raum zu verwandeln. Es bleibt eine Ausstellung und
man muss Eintritt für die Giardini bezahlen. Wir verhandeln immer noch mit den
Organisatoren, ob es nicht möglich ist, dass die Besucher den Pavillon ohne
Eintrittsgebühren betreten können, aber ich weiß nicht, ob uns das gelingen wird.
Dieser Prozess ist genauso Teil des Projekts wie das große Modell für das „the stadium of close looking“.
Da ist es wieder, das Interesse am öffentlichen Raum
Liza Fior:
Genau. Es gibt so viele öffentliche Räume, die das Ergebnis privater Investitionen
sind und die so nichtssagend sind, weil sie keinen Raum lassen für Komplexität.
Öffentliche Räume sollten nicht nur einem Zweck gewidmet sein. Wir müssen Räume
schaffen, die nicht so festgelegt sind.
Wie macht man das als Planerin? Könnt ihr dafür Beispiele aus eurer Arbeit nennen?
Alison Crawshaw:
Eines der aktuellen Beispiele ist der Barking Town Square. Wir haben uns sehr
bemüht, dem Platz etwas Geheimnisvolles zu verleihen, mit der Möglichkeit zur
Flucht. Es ist ein Platz, der viele Bedeutungen und Funktionen hat.
Liza Fior:
Wir hatten das Ziel, einen multifunktionalen Raum zu schaffen und er wird nun
tatsächlich auf diese Weise genutzt. Es können sich dort viele verschiedene Dinge
abspielen. Jedes Mal wenn Alison dort hingeht kommt sie mit einer neuen
Geschichte zurück.
Alison Crawshaw:
Es gibt dort Überwachungskameras, was für uns gut ist, denn alles was dort vor sich
geht wird dokumentiert: Leute, die auf der Bühne Karateübungen machen, die Bäume
hochklettern, Bücher lesen, Picknicks veranstalten und Hochzeitfotos machen.
Der Platz wird viel und auf unterschiedliche Weise genutzt.
Liza Fior:
Mit dem Bauprogramm haben wir die Kunden, Bauunternehmer und lokale
Behörden eingebunden, überdies haben wir auch Kontakte in das direkte Umfeld
geknüpft und zum Beispiel mit den Maurermeistern der Baufachschule vor Ort
zusammengearbeitet.
Ihr versucht immer Netzwerke vor Ort zu bilden?
Liza Fior:
Und mit Experten aus anderen Bereichen. Für den britischen Pavillon luden wir zum
Beispiel den Philosophen Wolfgang Scheppe aus Venedig ein und die Umweltwissenschaftler
Jane da Mosto und Lorenzo Bonometto für die Gestaltung der venezianischen
Lagune. Auch bei muf arbeiten Leute aus unterschiedlichen Disziplinen, wie
Caitlin, sie hat erst Kunst studiert und betreibt nun die Forschung vor Ort für uns. Das
heißt wir führen diese interdisziplinäre Zusammenarbeit einfach außerhalb mit anderen Leuten fort.
Caitlin, was machst du also genau bei muf?
Caitlin Elster:
Jedes Projekt beginnt mit einer Analyse der Beteiligten, der jeweiligen Initiativen und
Interessen an der bestehenden Situation. Ich mache die Recherche einschließlich der
Interviews mit den Grundstücksbesitzern, Politikern, Schulen, Anwohnern und dem
Kunden. Häufig gibt es gemeinsame Interessen, die man herausfindet, wenn man zuerst
mit den Leuten spricht. Erst danach nimmt das Projekt räumliche Formen an.
Liza Fior:
„The stadium of close looking“ ist die Absicht, die sich hinter diesem venezianischen
Pavillon verbirgt. Eine sinnvolle Strategie für ein Bauvorhaben kann nur aus einem
tieferen Verständnis für den Ort entwickelt werden. Durch das genaue Hinschauen
offenbart sich die Komplexität einer Situation. Wenn man diese Komplexität verstanden
hat, wird das Konzept besser und angemessener sein. Natürlich wird das Projekt
dadurch auch komplizierter, denn man muss sich allen diesen Kleinigkeiten widmen
anstatt auf einer Wolke über der Situation zu schweben.
Das heißt, die Zeit, die muf für die Analyse aufwendet ist es wert?
Alison Crawshaw:
Ich würde eher sagen, bei muf tun wir einfach Dinge, die wir für richtig halten – und manchmal
zahlt sich das aus. (lacht) Was ich an der Arbeit für muf wirklich mag ist, dass wir
uns immer die Zeit nehmen über Dinge nachzudenken, an die Kunden oder Politiker
normalerweise nicht denken würden. Wir erfinden die Projekte neu.
Liza Fior:
Wenn man das was da ist schätzt, ist es einfacher zu zeigen was fehlt. Dies gilt auch
für die aktuellen Projekte im Zusammenhang mit dem London Olympia Park, wo
wir es geschafft haben, bestehende Ansätze und Masterpläne in Frage zu stellen,
indem wir demonstrierten was da ist und wie dies erweitert werden kann und wie die
Entscheidungen über die Art und Weise der Investitionen gleichzeitig politisch und
kreativ sein können. Dies kam zum ersten Mal Mitte der 1990er Jahre zum Tragen,
als wir einen Vorschlag für ein dekoratives Straßenpflaster unterbreiten sollten,
das unerschrockene Touristen durch ein ziemlich heruntergekommenes Viertel zu
einem frisch renovierten Museum in North Hoxton leiten sollte. Für das Projekt „Borrowed Pleasures“ präsentierten wir ein
Schaubild, um zu zeigen, dass der 60 Grad Blickwinkel dieser fiktiven Touristen
natürlich über diesen Fußweg hinausgeht. Dies lieferte dann die Begründung dafür,
dass das Budget für Spielplätze der anliegenden Schulen und offene Plätze entlang
des Weges investiert wurde - unsere Modifikation des Etats und der Aufgabenstellung wurden eins.
Einen Auftrag neu zu definieren, das Budget in Frage zu stellen, nach Alternativen schauen und die bestehende Situation analysieren – das klingt ziemlich mutig und idealistisch
Liza Fior:
Darum bin ich immer nervös, wenn ich junge Architekten treffe, die uns als Vorbild
sehen. muf ist kein empfehlenswertes Geschäftsmodell, denn wir stecken immer
viermal so viel Arbeit in ein Projekt wie wir eigentlich müssten. Wir gehen immer über
den Auftrag hinaus und können aber deswegen nicht mehr Geld verlangen, denn es
ist ja unsere eigene Idee.
Daher ist unsere Arbeit aber viel interessanter, wertvoll und auf gewisse Weise nachhaltiger.
Wenn man existierende Initiativen und Interessen ausfindig macht und in das
Projekt einfließen lässt, wird es eine wirklich langfristige und sinnvolle Investition in
den öffentlichen Raum sein.
Das heißt ihr definiert die Tätigkeit als Architekten und Planer offensichtlich als politische Arbeit
Caitlin Elster:
Ich finde, es ist unmöglich in diesem Kontext unpolitisch zu sein. Wir arbeiten mit öffentlichen
Behörden wie der Londoner Baubehörde, wir sprechen mit Unternehmen,
Gemeindegruppen, Wohltätigkeitsvereinen... politischer kann unsere Arbeit nicht
sein.
Alison Crawshaw:
Ich glaube, unser Privileg ist, dass wir die Information, die wir zusammentragen auf
der strategischen Ebene einfließen lassen können. Wir sprechen mit Leuten, die sich
nur im Mikrokosmos der Mikroaktivität bewegen. Wir sind in der Lage diesen Mikrokosmos
mit dem Makrokosmos zu verbinden. Wir sind Doppelagenten. Wir haben
in beiden Lagern einen Fuß.
Der vollständige Büroname lautet „muf architecture / art”.
Wir haben jetzt viel über Strategien, Kunst, Kooperation und den öffentlichen
Raum geredet – wie sieht es denn mit Gebäuden aus?
Liza Fior:
Für die meisten Leute geht es in der Architektur vor allem um Gebäude. Wir haben
ein ziemlich vielfältiges Portfolio mit öffentlichen Räumen, Strategien, Masterplänen,
Ausstellungen, Innenraumgestaltung und auch ein paar Gebäuden. Aber das ist nicht
so wichtig für uns, denn wir machen zwischen Gebäuden und öffentlichen Räumen
nicht wirklich einen Unterschied. Mit jedem Projekt versuchen wir die Möglichkeiten,
die im öffentlichen Bereich bestehen zu erweitern. Das Projekt für den britischen
Pavillon verknüpft Kinder, Wissenschaftler, Leute aus der Nachbarschaft, die Lagune,
Handwerker, Künstler und das Gebäudes selbst mit der Stadt Venedig
zusammen. Wir sind nicht gegen Gebäude. Wir schauen nur immer gerne über das
Gebäude als einzelnes autonomes Objekt hinaus.
Vielen Dank.
Interview: Florian Heilmeyer
Florian Heilmeyer lebt und arbeitet mobil, seit 1978 überwiegend in Berlin. Er arbeitet als
freier Journalist und Redakteur für BauNetz und als contributing editor für MARK – Another
Architecture
Projektleitung: Andrea Nakath / Rahel Germershausen