Crystal Talk
Text: Jeanette KunsmannFotos: Hainsley Brown, Cristobal Palma, diephotodesigner

Interview

Interview nagler
Plasma Studio

Es ist Samstag Vormittag, und wenn man nicht gerade am Oxford Circus ist, kann es in London angenehm langsam und ruhig sein. So wie in dem Büro von Plasma Studio am Regent’s Canal, direkt am Broadway Market. Eva Castro und Holger Kehne scheinen ein typisches Architektenpärchen zu sein: Sie in schwarzen engem Kleid, Highheels und großer Sonnenbrille – er in schwarzen Turnschuhen und Rollkragenpullover. Es ist ein Duo, das rein äußerlich trotzdem nicht gegensätzlicher sein könnte: Die temperamentvolle Argentinierin und der ruhiger Münsteraner. Und doch strahlen sie eine unglaubliche Harmonie aus und ergänzen sich scheinbar perfekt. Während wir mit Beiden sprechen, zeichnen im Hintergrund drei ihrer Mitarbeiter zu lauschiger Musik an Plänen. „Die Espressomaschine ist heute leider kaputt, also gibt es Kaffee von nebenan.“ Auf dem Tisch, einer zusammengeklappten weißen Tischtennisplatte liegen ein paar aufgeschlagene Architekturzeitschriften. Auf einer Doppelseite ist das Tetris Haus in Bozen abgebildet. Auf dem Tisch nebenan liegt ihr Kind in seiner Wippe und schläft.


London Skyline

Ihr arbeitet nicht in „New York, Rio und Tokio“, sondern in London und Südtirol. Anders gesagt in einer Metropole und auf dem Land. Wie ist das für euch?

Holger Kehne
In Südtirol ist es wirklich richtig ruhig! Der Blick aus unseren Bürofenstern in London und in Bozen könnten nicht unterschiedlicher sein: Hier die Skyline von London und dort die massiven Berge. Die Atmosphären sind extrem unterschiedlich. In Bozen geht man aus dem Büro auf die Terrasse, schaut in die Berge und hört die Stille. So etwas gibt es hier in London natürlich nicht. Um für vier oder fünf Tage Ruhe vor London zu haben, fahren wir manchmal mit ein paar anderen Leuten runter nach Südtirol. Ein anderer, entscheidender Unterschied zwischen den beiden Büros ist, dass in Südtirol die meisten unserer Projekte sind. Das Büro dort ist also viel integrierter durch die Kontakte Ulla Hells, als das hier in London. Hier wird der Standort durch den globalen Kontext definiert.

Wie genau habt ihr euch kennengelernt? Ihr lebt beide zusammen in London. Euer Arbeitsschwerpunkt liegt daher vermutlich ebenfalls in hier. Eigentlich seid ihr aber zu dritt, denn Ulla Hell führt ja das Büro in Südtirol.

Eva Castro
Man könnte sagen, dass Ulla unsere erste richtige Angestellte überhaupt war. Holger und ich haben an einem Wettbewerb in Deutschland gearbeitet, das Ozeaneum in Stralsund, und sie kam zu uns, um uns in der Zweiten Phase zu unterstützen. Es war eine sehr gute Zusammenarbeit mit ihr, und obwohl wir nur den fünften Preis gewonnen haben, war der Wettbewerb für uns trotzdem extrem erfolgreich. Leider entschied sich Ulla, danach zurück nach Südtirol zu gehen und dort zu arbeiten. Da wir sie nicht gehen lassen wollten, haben wir ihr vorgeschlagen, Plasma Studio auch in Südtirol zu verankern, sozusagen eine Zweigstelle zu eröffnen. Es war eine gute Entscheidung!


Südtiroal Panorama

Ihr seid gut mit Zaha Hadid befreundet. Sind solche Kontakte zur Londoner Architektenszene für euch ein Sprungbrett zu einem größeren Bekanntheitsgrad?

Eva Castro
Das ist eine Frage, die wir uns selbst auch schon lange stellen. London ist für uns ein eigenartiger Standort – vor allem, weil wir beide hier wohnen und arbeiten, aber noch nie in London ein richtiges Bauprojekt hatten. Es ist schwierig und irgendwie auch schade. Wir hatten ganz am Anfang vom Plasma Studio ein paar kleinere Projekte und Planungen, aber es hat sich nie mehr entwickelt.

Holger Kehne
Wir haben durchaus versucht, durch Publikationen in Zeitschriften und Architekturmagazinen stärker als „Young British Architects“ wahrgenommen zu werden, um die Möglichkeit zu bekommen, hier zu bauen. Aber es ist nie etwas passiert. Es ist fast ähnlich wie bei Zaha Hadid, ihr ist es ja genauso ergangen. Tja, eigentlich könnten wir auch wo anders arbeiten, in Berlin zum Beispiel.



Gibt es konkrete Pläne, nach Berlin zu ziehen?

Eva Castro
Nun, wir überlegen noch. Wir mögen Berlin sehr und sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo unser Büro-Standort nicht mehr ausschlaggebend ist. Also warum sollten wir nicht in einer Stadt arbeiten, die wir vielleicht mehr genießen können, die bessere Voraussetzungen und bessere Preise bietet.

Habt ihr breits neue Projekte für das nächste Jahr?

Holger Kehne
Es ist schon deutlich spürbar, dass wir jetzt bedeutendere Aufträge bekommen, aber es ist ein langer Weg – wir sind ja noch ein vergleichsweise junges Büro. Wir haben eine Menge unserer Projekte publiziert. Das ist uns sehr wichtig, deshalb verbringen wir einen großen Teil unserer Zeit mit Aufgaben wie zum Beispiel gute Fotos zu machen, Texte zu schreiben, Kontakte zu den Magazinen zu knüpfen und Ulla Hell, Holger Kehne, Eva Castro Büro London 3G- Antrittsinstallation Extension gallery Chicago, USA, 2006 ihnen immer wieder unsere Projekte zu schicken – all so was kostet eine Menge Zeit. Wir wären gerne ein kleines bisschen größer. Eine Sekretärin für solche Aufgaben zu haben wäre wunderbar...

Eva Castro
Ja, wir sind unsere eigenen Sekretäre. (lacht)

Holger Kehne
Zurzeit teilen wir uns diesen Job. Unser Budget ist relativ klein, weil wir an eher unkonventionellen Projekten arbeiten. Dafür machen wir aber auch nur das, was uns wirklich interessiert. In China erarbeiten wir gerade für eine Fläche von 19 Millionen Quadratmeter einen Masterplan. Das ist unverstellbar groß und ein guter Auftrag. Aber wir haben noch keine Zusage, dass der Masterplan realisiert werden soll. Da sind die Projekte in Südtirol zuverlässiger.

(Das Baby wird langsam etwas unruhig und macht sich bemerkbar. Es guckt uns mit seinen großen Augen an, will wohl fragen, wann wir endlich fertig sind.)

Seit vier Monaten habt ihr auch noch schlaflose Nächte von einer ganz anderen Sorte...

Eva Castro
Ich wünschte, es wäre so! Er gehört zu den Babys, die nachts durchschlafen und dafür dann tagsüber umso lebendiger sind. Es ist schwer, dann nebenbei zu arbeiten, wenn man ihm keine Aufmerksamkeit schenken kann. (lacht) Jetzt muss ich wieder nachts arbeiten.

Holger Kehne
Es war eine enorme Erleichterung für uns, in die Nähe vom Büro zu ziehen. Die Familie braucht natürlich auch viel Zeit.



In eurem Büro ist die familiäre Atmosphäre zu spüren: Ein Sofa, eine Tischtennisplatte und nette Musik im Hintergrund gibt es schließlich nicht in jedem Büro. Drückt sich dies auch in eurer Arbeitsweise aus?

Eva Castro
Wir verstehen uns so gut mit unseren Mitarbeitern, für uns ist es super. Es ist nett, wir gehen oft zusammen essen oder nach der Arbeit in Bars oder auf Partys. Und unsere Kinder und Ullas Kinder sind auch ungefähr im gleichen Alter. Das ist optimal, denn sie können, wenn sie hier sind, zusammen spielen. Ja, eigentlich ist es eine große Familie.

Das hört sich so an, als wärt ihr eine Kommune....

Eva Castro (lacht)
Nein, nein! So weit geht es dann auch nicht.

Ein nettes Arbeitsverhältnis, ihr versteht euch sehr gut mit euren Mitarbeitern, da stellt sich mir die Frage, was bedeutet euch die Architektur. Ist sie trotz der tollen Arbeitsatmosphäre nur ein Job?

Holger Kehne
Natürlich ist es mehr als das: Es ist unser Leben, deshalb hinterfragen wir das nicht. Architekten haben die einmalige Aufgabe und Möglichkeit die Dinge zu verändern und eine Basis für etwas Neues schaffen. Wir müssen zwar unsere Nischen finden, aber alles steht immer in einem größeren Kontext. Architekten arbeiten anders als Grafikdesigner oder Fotografen. Sie sind bei weitem nicht so schnell, dafür müssen sie aber auch nicht befürchten, im nächsten Jahr schon wieder „out of fashion“ zu sein.

Wie entwickelt ihr denn eure Projekte? Was sind die Inspirationen für eure sehr speziellen Räume?




Holger Kehne
Wir haben keine bestimmte Linie in unserer Arbeitsweise. Wir arbeiten immer wieder anders. Wir versuchen, neue Raumkontinuitäten und Beziehungen zu entwickeln, eine neue Offenheit zu schaffen, Räume, die normalerweise getrennt sind, miteinander zu verbinden. Aber vielleicht ist das auch ein Prinzip.

In unseren Entwürfen nutzen wir natürlich bestimmte Geometrien, bestimmte Kontinuitäten architektonischer Elemente und brechen teilweise bewußt Konventionen – wenn zum Beispiel das gleiche Element vom Boden in die Wand und dann in die Decke fließt. Auf der anderen Seite ist für uns der Kontext sehr wichtig. Wir entwickeln unsere Gebäude aus der Umgebung und der Landschaft heraus. Wir arbeiten mit lokalen Materialien, ändern dabei aber die traditionellen Gebäudetypologien. Diese Materialien sind meist günstiger, und die Leute wissen, sie zu verarbeiten. Wir studieren die vorhandenen Traditionen, arbeiten mit ihnen und finden einen zeitgenössischen Ausdruck für diese. (Er zeigt ein Foto des Eskerhaus in Bozen)

Die Modelle für solche Strukturen kann man natürlich nur mit Hilfe moderner Technologien wie Laser-Cutting und Information Management entwickeln.

Wir wollen keine zeitgenössische Architektur schaffen, indem wir zum Beispiel alles pink machen. (lacht) Die Grundidee für das Tetrishaus war, das Gebäude in die Landschaft fließen zu lassen. Entscheidend für das Projekt war die Zusammenarbeit mit den Firmen vor Ort. Die Abwicklungen für uns macht eine Tischlerei mit einem speziellen Computer-Programm – so viele Praktikanten hätten wir gar nicht einstellen können!

Eva Castro
Ich denke, viel entscheidender als unser Arbeitsprozess ist unsere Sprache. Alle Projekte haben einen bestimmten Stil, bestimmte Techniken und einen gewissen Ausdruck, der sich in allen Entwürfen wiederfindet. Deshalb gibt es eine Kontinuität und eine Widererkennbarkeit unserer Arbeit.




Und natürlich ist für unsere Arbeitsweise der Austausch mit Südtirol sehr entscheidend. Es ist wie Pingpong zwischen Südtirol und London. Der Beat der Entwürfe und Formen entspricht oft mehr dem in London, die Wahl des Materials bezieht sich meistens auf Südtirol. Wir arbeiten zwar digital, aber wir arbeiten nicht – wie viele meinen – nur mit dreidimensionalen Darstellungen sondern auch zweidimensional. Nur so können wir die Verbindungen zwischen den einzelnen Geschossen prüfen, die meist im Rendering nicht mehr sichtbar sind. Wir arbeiten auch mit Modellen, manchmal mehr, manchmal weniger, denn das bedeutet immer, enorm viel Zeit zu verlieren. Wir werden alle immer besser und schneller in 3D.

Holger Kehne
Ja, am Ende hängt unsere Arbeitsweise bei jedem Projekt vom Kontext ab, also dem Bauherren und vor allem von der Zeit, die wir haben.

Unter welchen Gesichtspunkten wählt ihr eure Projekte aus?

Holger Kehne
Es gibt eine Sorte von Projekten, die wir hier in London „Bread and Butter“ nennen. Das sind Projekte, mit denen man seine Miete bezahlen kann – die wollen wir nicht mehr machen müssen. Da wir langsam etwas wachsen, können wir weiterhin hart und zäh bleiben und nur an den Projekten arbeiten, die wir uns aussuchen. Ich kann auch überhaupt nicht verstehen, dass es Architekten gibt, die nur wegen des Geldes bauen – dafür ist es kein guter Job: Viel zu viel Stress und Kopfschmerzen!

Manchmal scheint es, als würden die großen Architekten nur noch ihre eigenen Entwürfe kopieren, um sie an einem anderen Ort zu reproduzieren. Bei euch hat jedes Projekt einen sehr starken, eigenen Charakter.

Holger Kehne
Heute hat so jemand wie Zaha Hadid mehr als 250 Projekte gleichzeitig – das war vor zehn Jahren bei ihr völlig anders, da hatte sie nämlich gar nichts. Bei so vielen Projekten wird Architektur zur Fabrik, eine Massenproduktion an Entwürfen. Das kann niemand leisten, da würde wahrscheinlich jeder dann beginnen, Elemente zu kopieren und zu vereinfachen. Aber selbst Zaha Hadid hat schon am Anfang, als sie es sich eigentlich noch nicht leisten konnte, Projekte abgelehnt, wenn sie von ihnen nicht überzeugt war.




Heute, wenn man sich die großen Wettbewerbe ansieht, dann liest man meistens die gleichen bekannten fünf Namen. Gibt es einen Markt für euch als junges Architekturbüro?

Eva Castro
Ich glaube, der Markt teilt sich gerade in zwei Hälften. In den Neunzigern gab es noch eher Möglichkeiten, wie Rem Koolhaas oder FOA sie hatten. So viel junge zeitgenössische Architektur an einem Ort wie in Yokohama gibt es heute nicht mehr, es bedeutet für die Bauherren ein viel zu großes Risiko! Nun müssen Architekten wie wir einen Weg finden, mit dieser neuen Situation umzugehen und darauf zu reagieren.

Welche Arbeiten von anderen jungen Architekten interessieren euch?

Holger Kehne
Irgendwie fehlt uns die Zeit, zu schauen, was die anderen machen. Gerade in Europa passiert viel Interessantes, und es gibt eine Menge guter Leute. Aber wir haben nicht wirklich ein Netzwerk, vor allem nicht hier in London, nur ein kleines an der AA. Die Architekten, die mir gerade einfallen, hatten leider bis jetzt das Pech, dass ihre Projekte nicht gebaut werden. Sie haben nicht ihr „Südtirol“...

Eva Castro
Wir arbeiten hier in London eigentlich in einer sehr isolierten Situation. Schau aus dem Fenster: London ist schick, hip und super cool, aber überhaupt nicht kritisch. Diese kritische Architekturszene gibt es wohl eher in Spanien oder Berlin.



Wie würde euer Traumprojekt aussehen?

Eva Castro
Mich würde ein Kulturprojekt reizen, da hat man zwar strenge Vorgaben, aber man kann mit der gesellschaftlichen Situation spielen. Aber eigentlich kann jedes Projekt seinen Charme haben. Wichtiger als die Bauaufgabe ist doch eine gute Zusammenarbeit mit dem Bauherrn. Letztendlich liegt es in der Hand des Bauherrn, wie viel Spaß die Arbeit an einem Projekt bereiten kann – oder wie wenig…

Habt ihr zum Schluß noch eine Botschaft für die nächste Architektengeneration?

Holger Kehne (zeigt auf Eva)
Wunderbare Frage, hier sitzt der Messias!

Eva Castro
Nein, ich bin kein Messias, ich bin Pragmatikerin. Für mich gibt es verschiedene Wahrheiten, die alle zu guten Ergebnissen führen können. Deshalb sollte man nicht auf der Suche nach dem richtigen Ziel sein, sondern lieber anfangen, sich einen guten Weg zu erarbeiten.

Holger Kehne
Ich sage immer: Wenn du das, was du machst, nicht wirklich liebst, lass es!

Eva Castro
Studiert niemals Architektur! Ich hoffe wirklich, dass meine Kinder nicht auf diese Idee kommen... (sie grinst)

Das Gespräch führte Jeanette Kunsmann.
Jeanette Kunsmann, in Dortmund geboren, lebt seit sechs Jahren in Berlin. Sie hat im letzten Jahr in der Redaktion der Arch+ gearbeitet und schreibt seit diesem Sommer für die BauNetz Redaktion.

Projektleitung: Andrea Nakath

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