Crystal Talk
Text: May-Britt Frank-GrosseFotos: realities:united, Torsten Seidel

Interview

Interview realities:united

realities:united beschreibt sich als "Büro für Kunst, Architektur und Medien". Wie erklärt Ihr jemandem, der Euch nicht kennt, was Ihr macht?


Tim Edler: Eine Antwort darauf wäre: Wir tunen Architektur. Denn die Architektur bewegt sich beispielsweise heute von einem statischen zu einem dynamischen Medium. Viele tausend Jahre kultureller Entwicklung liegen hinter uns, in denen wir gelernt haben, statisch zu gestalten. Und plötzlich kann alles dynamisch werden. Wir sind überzeugt davon, dass neue Technologien auch immer neue Gestaltungsmöglichkeiten und eine neue Form der Ästhetik hervorrufen.

Das klingt nach größerem Aufklärungsbedarf?

Oft laufen die Projekte ja bereits und der Kontakt mit uns ist mit der diffusen Erwartung verknüpft, dass wir etwas Besonderes schaffen, wie Zauberer. Das Ganze erinnert stark an die Anfänge des Internet-Booms. Deshalb kommt es uns sehr auf den Dialog an. Was sind die wirklich Ziele und Interessen der Leute, was soll eigentlich vermittelt werden? Bei fast allen unseren Projekten haben wir die Auftraggeber zunächst vor den Kopf gestoßen, weil wir nicht das gebracht haben, was man mit dem Begriff Medienarchitektur allgemein assoziiert.

Kommerzielle Medienfassaden interessieren uns aber nicht. Was wir machen, ist anders: Es ist nicht bunt, es ist nicht hochauflösend, es ist nicht viereckig. Und natürlich müssen wir dann vermitteln, warum das so eigentlich besser ist.


Wie findet diese Vermittlung statt?

Im Dialog. Jemandem der denkt, seine Architektur bräuchte einen High-End-LED-Screen, um modern zu sein, muss man nur fragen: Was ist in fünf Jahren, wenn der Nachbar viel heller und moderner ausgestattet ist? Oft fängt erst in dieser Auseinandersetzung ein Denkprozess an, und der Auftraggeber wird differenzierter in dem, was er möchte. Das funktioniert eigentlich immer ganz gut.

Das Themengebiet, in dem wir uns bewegen, ist ja ohnehin mehrfach ineinander verschachtelt von Bildern und Erwartungen. Oft ist die Motivation für Medien in der Architektur nur ein Image für Modernität. Aber woher kommt dieses Image? Aus Filmen oder aus asiatischen Großstädten. "Bladerunner wird jetzt gebaut", heißt es dann. Hier muss man den Dingen dann auf den Grund gehen.

Was war Eure Motivation, sich in einem solchen Bereich zu etablieren?

Es mag vielleicht überraschen: Licht und Medienfassaden interessieren uns nicht besonders. Es gefällt uns gar nicht, wenn wir nur damit assoziiert werden, denn wir sehen uns viel breiter aufgestellt. Zum Thema Medienarchitektur hat uns eigentlich eher ein Zufall geführt, nämlich dass wir für das Kunsthaus Graz im Jahr 2001 einen Vorschlag für diese Fassade aus Leuchtstofflampen gemacht hatten, eben das Projekt BIX.

Und dass dieses Projekt gegen jedes Gesetz der Wahrscheinlichkeit dann realisiert wurde. Wir waren damals sehr naiv, wussten noch wenig darüber und waren erschüttert als wir feststellten, dass es fast keine theoretische Grundlage zur Gestaltung von Medienfassaden gibt.

Was für Grundlagen denn?

Die Architektur ist ja eigentlich ein sehr theoriereicher Bereich. Es gibt ganz viele Ansichten dazu, was Architektur sein soll. So hat sie sich zum Beispiel lange vom Bildlichen zum Abstrakten hinbewegt. Jetzt kommen die Neuen Medien und was passiert? Man klebt konkrete Bildchen auf die Fassade. Das ist doch eigentlich absurd.

Dass es so wenig intelligente Lösungen gibt, liegt auch an dem fehlenden Konsens darüber, was Medienfassaden eigentlich tun sollen. Wir begegnen noch häufig ganz einfachen Fragen. Als wir beispielsweise aus ökonomischen Gründen gezwungen waren, mit sehr großen Pixeln zu arbeiten, fiel uns auf, dass sich niemand Gedanken macht, wie groß ein Pixel und ob ein Bild auf der Architektur abstrakt oder konkret sein sollte.


Wie groß ist der Einfluss der Mediengestaltung auf die Architektur?

Im Moment noch gering, weil die Arbeitsprozesse hintereinander gedacht werden. Das ist ein Kernproblem der Architekten. Sie haben oft die Vorstellung, dass man die Abläufe seriell denken kann. Sie planen erst einmal das Gebäude und hinterher - das ist auch so ein Thema - holen sie zum Beispiel jemanden dazu, der das Gebäude beleuchtet, der das Vorhandene dann in einem besonders sinnvollen Licht erscheinen lässt.

Für uns funktioniert das aber so nicht. Dass die Mediengestaltung nicht die letzte Schicht Lack obendrauf, sondern dass sie substantiell ist, dieses Verständnis haben wir bisher nur in wenigen Projekten erlebt.

Woran arbeitet Ihr derzeit?

Wir arbeiten gerade an drei Architekturprojekten, allesamt Mediengestaltung an Neubauten. Zwei Projekte in Singapur in Zusammenarbeit mit dem dort ansässigen Büro WOHA Architects, bei denen wir die künstlerisch mediale Gestaltung der Fassade entwickeln. Und dann unser Projekt in Cordoba von dem spanischen Büro Nieto Sobejano Architects. Dort findet eine sehr intensive Zusammenarbeit statt. Es gab zwar bereits den Entwurf einer abstrakten Medienfassade, diesen haben wir aber anschließend optimiert und verändert und vor allem, was wir jedes Mal tun, unsere Vorlieben hinein transportiert.


Bei dem Entwurf in Cordoba konnten wir, als Weiterentwicklung der BIX Medienfassade des Kunsthauses Graz mit seinem Raster aus Leuchtstofflampen, unserem Wunsch nachgehen, eine Medienfassade zu entwickeln, die gar kein Raster und keine gleichmäßige Dichte mehr hat. Damit kann man mit der Wahrnehmung arbeiten und spielen. Die Fassade funktioniert ähnlich wie die Netzhaut, wo bestimmte Bereiche sehr dicht sind und einmal erkannte Informationen auch in die Peripherie wandern können und dort immer noch verstanden werden.

In Cordoba ist es doch so, dass die Fassade an sich stark gestaltet ist. Sie wirkt auch am Tage. War das Eure Idee?

Dieser Frage kann man zum Glück elegant ausweichen. Als wir zum Projekt hinzugezogen wurden, war es tatsächlich so, dass die Fassade aus einer glatten Fläche bestand, in die zylindrische Löcher geschnitten worden waren. Und darin steckten die Leuchten. Die Idee war aber so nicht umsetzbar und wir haben einen anderen Vorschlag gemacht. Wir haben die innere Struktur des Gebäudes, die aus einem verbogenen Tesselationsmuster bestand, auf die Fassade geholt und daraus Eindellungen gemacht.


So etwas zu machen ist natürlich heikel, denn wir sind mit unseren Projekten immer auf der wichtigen Fassade des Gebäudes, auf der Schauseite. Die kann man natürlich nicht einfach umgestalten. Zum Glück hatten in diesem Fall das spanische Büro Nieto-Sobejano und wir gleichzeitig diese Idee. So hat keiner dem anderen etwas vorgeschrieben, und die Fassade konnte im Anschluss problemlos ausgearbeitet werden. Ein sehr glücklicher Ausgang.

Wie ist die Fassade aufgebaut?

Es sind vorgefertigte Faserbetonplatten, die eingedrückte Vertiefungen oder Schüsseln haben. Diese Platten hängen in einem Gerüst. Es gibt eine Reihe verschiedener Typen, die durch eine verzahnte Anordnung immer wiederholt werden können, ohne dass das Gefühl eines Rapports entsteht. Die Beleuchtung der Schüsseln erfolgt von der Seite. Eine Herausforderung war dabei die Gleichmäßigkeit der Beleuchtung, da die Schüsseln unterschiedlich groß sind.


Und Eure weiteren Projekte?

Ein Projekt, das uns ganz besonders am Herzen liegt und das wir für sehr gelungen halten, ist das Museum X in Mönchengladbach von 2006. Der Sinn des Projektes bestand darin, für das Jahr der renovierungsbedingten Schließung des Museums irgendetwas davon in der Stadt am Leben zu erhalten, damit das Museum nicht in Vergessenheit gerät. Wir haben dafür ein Gebäude mit einer Oberfläche bezogen, um ein statisches Bild hervorzurufen. Eigentlich kann man hier von Kulissenarchitektur sprechen. Das Projekt sollte ein ganzes Gebäude suggerieren und hatte mit Licht nichts zu tun. Dennoch entsprach es absolut dem, was wir machen wollen.

Um eine Aussage zu vermitteln, ist ja immer auch ein gewisser überraschungseffekt erforderlich. Man muss sich abheben, herausragen. Das Paradoxe dabei ist: In dem Moment, in dem alles Licht wird, kann man mit Licht nicht mehr viel erreichen und man muss mit einem anderen Medium arbeiten. Insofern ist es uns sehr wichtig, dass wir nicht zwangsläufig als Licht- oder Mediendesigner im Sinne von Bildschirmmedien wahrgenommen werden.

Gibt es denn bei so einem Projekt noch Parallelen beispielsweise zu Cordoba?

Diese Arbeiten liegen natürlich weit auseinander. Mönchengladbach ist ein Projekt, bei dem wir Wirkung und Aussage selbst exakt festgelegt haben. In Cordoba hingegen ist die Aussage der Medienwand und die Mitteilungsfähigkeit des Gebäudes bis heute undefiniert: Wir wissen noch nicht genau, wer oder was dort ausgedrückt werden soll. Aber genau das ist das Spannende. Die Idee, Künstler in die Inszenierung der Gebäudehaut einzubeziehen, verfolgen wir seit dem Kunsthaus Graz. Können sie uns mit ihrer Arbeit beim Entdecken helfen? Wie teilt sich ein Gebäude mit, wenn es medial wird? Diesen Ansatz haben wir unter anderem auch bei der Installation "Spots" am Potsdamer Platz in Berlin verfolgt.


Im Moment sind wir allerdings wieder etwas davon abgekommen, weil Künstler oft nur bedingt bereit sind, sich auf die Arbeit anderer einzulassen. Bei den jüngsten Projekten haben wir daher diesen inhaltlichen Aspekt selbst übernommen, um von Anfang an eine eigene Perspektive für das Projekt zu entwickeln. Daher unsere Themen "Kunst, Architektur und Medien".

Und wie geht diese Entwicklung weiter?

Darauf haben wir natürlich auch keine Antwort. Wir tasten uns selber langsam voran. Mit BIX fingen wir an, Maßstab und Form von Pixeln an einer Fassade grundsätzlich zu thematisieren. Dann kam das Projekt "Spots" mit der Frage: Sind die Pixel in einer Matrix immer gleich oder gibt es Unterschiede? Führen sie nicht ein Eigenleben und fangen an, Muster zu bilden? Wie zum Beispiel in Cordoba, wo sie das orthogonale System von Gleichmäßigkeit und Größe auflösen.

Für uns sind das Deklinationen. Wir haben noch immer das Gefühl, Grundlagenarbeit zu betreiben, die eigentlich schon längst hätte gemacht werden können. Bisher gilt: "Eine Medienfassade ist ein großes Rechteck, und was darin passiert, inhaltlich, technisch und gestalterisch, das geht mich nichts an, das soll Panasonic sagen." In dieser Stumpfheit können wir ja nicht weitermachen. Wir sagen uns: Jetzt probieren wir einmal das aus und dann das - und machen alles einmal ganz anders: Und zwar besser.


Tim Edler, vielen Dank für das Gespräch.


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