Crystal Talk
Text: Oliver ElserFotos: Paul Ott

Interview

Interview Innocad

INNOCAD ÜBER DIE ROLLE ALS EIGENER BAUHERR, DIE URSACHE VON ANTI-STAR-ALLÜREN, DIE SCHÖNHEIT VON BLÜMCHENTAPETEN, DIE FARBE GOLD UND ÜBER ZEN IN DER ARCHITEKTUR.

Ihr bezeichnet das vor kurzem fertig gestellte "Golden Nugget", in dem sich auch Euer Architekturbüro befindet, als "Marketinginstrument". Wie erfolgreich ist dieses Instrument?
Vor 6 Monaten sind wir eingezogen und unsere Erwartungen wurden bei weitem übertroffen. Wir waren sicher vorher nicht unbekannt in Graz - aber dieses Haus hier kennt wirklich jeder. Jeder Taxifahrer weiß, dass in der Grazbachgasse das goldene Haus steht.

Mit einem Teil des Büros sitzt ihr ganz buchstäblich im Schaufenster. Gibt es "Laufkundschaft"?
Das weniger. Es muss schon an dem Haus als Ganzes liegen, dass wir im vergangenen halben Jahr die Zahl unserer Aufträge mehr als verdoppeln konnten. Die Stadt Graz hat uns ebenfalls ein gutes Feedback gegeben. Wir befinden uns hier ja in einem sehr sensiblen Gebiet, der Altstadtschutzzone, was bedeutet, dass jede Baumaßnahme einer Sachverständigenkommission vorgelegt werden muss, die die Gestaltung prüft. Dort kam das "Golden Nugget" so gut an, dass die Stadt es bereits auf einer internationalen Altstadtschutzkonferenz als Beispiel für zeitgenössisches Bauen im historischen Kontext präsentiert hat.

Was bei den folgenden Projekten die Latte sehr hoch hängt.
Stimmt, wir haben das auch schon zu spüren bekommen (lachen), denn bei neuen Projekten im Altstadtbereich werden wir immer wieder am Nugget gemessen.

Zur Geschichte: Wie ist es dazu gekommen, ein Gebäude auf eigenes Risiko zu entwickeln, also mit Euch selbst als Auftraggeber?
Ein befreundeter Immobilienmakler rief an und meinte, er hätte "a ganz a arges Grundstück". Wir wussten dann ziemlich schnell, welches er meinte, denn kurioserweise haben wir alle im Studium dieses Grundstück schon einmal bearbeitet.

Also mussten nur die alten Pläne wieder hervorgeholt werden?
Lustig war das schon, es hat ja damals jeder etwas anderes gemacht. Das war unser erstes gemeinsames Entwurfsseminar an der Technischen Universität in Graz. Dort haben wir uns kennen gelernt und etwas später den "Architekturzeichensaal Turm" gegründet, indem wir eine üppig dimensionierte Treppenhausfläche in einem Günther Domenig - Gebäude, mit der niemand vor uns etwas anfangen konnte, quasi "besetzt" haben. Aus dieser Uni-Arbeitsgemeinschaft ging dann im Jahr 1999 Innocad hervor.

Ist das "Golden Nugget" das erste Projekt, bei dem Ihr selbst die Bauherrenrolle übernommen habt?
Die Projektentwicklung spielte bei uns seit der Gründung von Innocad eine wichtige Rolle. Aber das Risiko der Finanzierung gab es in diesem Ausmaß bisher noch nicht. Zwei weitere "Eigenprojekte", wie wir sie nennen, sind gerade kurz vor der Fertigstellung.



Wie geht man das an? Der erste Schritt ist keine Ideenskizze, sondern eine Excel-Tabelle?
Das allein genügt nicht. Andere Grazer Bauträger hatten das ja schon durchgerechnet, bevor wir uns für das Grundstück interessiert haben. Die sind bei einer rein ökonomischen Rechnung zu dem Schluss gekommen, lieber die Finger davon zu lassen. Wenn man aber an den entscheidenden Parametern dreht, müsste es dennoch möglich sein, haben wir uns gesagt. Also doch eher Skizze als Kalkulation.

Entscheidende Parameter zu manipulieren bedeutet konkret: Ihr habt in die Gestaltung investiert und etwas bewusst edles, wertvolles geschaffen?
Gestaltung ist beim normalen Investorenwohnbau kaum ein Thema, da sind die drei wichtigsten Kriterien: Lage, Lage und nochmals Lage. Genau das war unser Ansatzpunkt: Denn die Lage des Grundstücks ist einerseits superzentral, andererseits aber befinden wir uns hier an einer stark befahrenen Straße in einem "Scherbenviertel", wie man in Graz so sagt. Fünfzig Meter weiter beginnt die hübsche Altstadt, das "Weltkulturerbe", aber dieser Standort hier hatte bisher keinen sehr guten Ruf. Das spiegelt sich in den Preisen sehr deutlich, mit denen üblicherweise kalkuliert wird. Hier bekomme ich eben nur einen Betrag X für meine Wohnungen, sagt sich der normale Investor. Erschwerend hinzu kam der trapezförmige Zuschnitt und das anderthalbgeschossige Hofhaus, bei dem niemandem klar war, was dort hinein sollte. Hätte man aber das schwer bespielbare Hofhaus abgerissen, wäre das Baurecht im Hof erloschen und die Gesamtausnutzung des Grundstücks hätte viel zu niedrig gelegen. Deswegen haben wir uns entschieden, das Hofhaus für uns selbst zu adaptieren. Wir sind jetzt Mieter in der eigenen Immobilie.

Gut, aber der überwiegende Teil des Neubaus wurde doch verkauft.   
Richtig, und das war ein Experiment, von dem wir nicht ganz sicher sein konnten wie es ausgehen wird. Nur ein sehr starkes Zeichen, nur ein Haus mit eigener Identität, konnte sich an dieser Stelle durchsetzen.

Was nichts anderes bedeutet, als die fünf Eigentumswohnungen zu einem Preis verkaufen zu können, der dem einer "besseren Wohnlage" entspricht?
Genau. Wobei wir überzeugt sind, dass man die Umgebung durch bessere Architektur beeinflusst. Dass wir hier ungewöhnliche, gut geschnittene und flexible Wohnungen anbieten, die sonst am Markt nicht zu bekommen sind, ist das Eine, davon profitieren in erster Linie die Eigentümer. Sie zahlen nicht mehr als üblich, aber doch mehr das als in dieser Gegend übliche. Aber das Haus als Ganzes ist ja ein Statement, dass man diese Gegend hier nicht einfach absacken lassen kann. Und indem wir in die Scherben ein Nugget hineingesetzt haben, sorgen wir für eine Aufwertung des Quartiers. So haben wir unser Konzept an die Interessenten kommuniziert. Das kam auch an, noch vor der Fertigstellung hatten wir die Wohnungen verkauft. Übrigens geht unsere "Quartieraufwertung" weiter: Hier um die Ecke entsteht der nächste Wohnbau, aber diesmal nicht auf eigenes Risiko.

Bis die letzte Wohnung verkauft war hattet Ihr schlaflose Nächte?
Das war die erste Hürde. Aber zurücklehnen konnten wir uns erst, als das Gebäude fertiggestellt und vollständig abgerechnet war. Da geht es uns nicht anders als jedem anderen Architekturbüro oder jedem anderen Bauträger.



Gute Architektur, so das Fazit, darf also etwas mehr kosten?
Überhaupt nicht, das wäre ein Riesenmissverständnis. Wir laufen ja jetzt nicht mit lauter Nuggets in der Tasche herum. Nur hier, in diesem konkreten Fall, war es die richtige Strategie. Viele andere Projekte, die wir machen, liegen auf einem anderen Preisniveau.

Zur Strategie Eures Büros: Wie habt Ihr es geschafft, dieses zweite Standbein in der Projektentwicklung aufzuziehen?
Es gibt ja einen klassischen Weg, den ein junges Büro gehen kann. Wettbewerbe schrubben. Wenn man damit Erfolg hat und gewinnt einen, fangen die Probleme meist erst richtig an. So jedenfalls unsere Erfahrung aus Büros, in den wir während des Studiums gearbeitet haben. Wir haben uns deswegen für den "Weg der kleinen Schritte" entschieden, wie wir das nennen. Es gab und gibt immer noch den Ehrgeiz, den Bauprozess in allen Stufen kennen zu lernen und auch die Position der anderen Beteiligten zu verstehen. Die Vorstellung, dass wir als Newcomer einen Wettbewerb gewinnen und dann ein viel zu großes Projekt mit Hängen und Würgen durchziehen - das fanden wir damals eher abschreckend.

Gab es denn so etwas wie "Startkapital"?
Nein, aber wir hatten das Glück, das erste Projekt für einen Bauträger machen zu können, auf einem relativ großen Grundstück, der uns von Anfang mit einbezogen hat. So im Sinne: Schwieriges Grundstück, macht was draus. Das kam durch Kontakte zustande, genauso wie die meisten folgenden Bauaufträge sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda ergeben haben. Bekannte hat jeder, man muss nur zugreifen. Schwierig wird es nur, wenn man dann glaubt, den Stararchitekten raushängen lassen zu müssen, dann geht das Vertrauen schnell verloren. Wenn man aber als Projektentwickler mit dem Bauherren quasi in einem Boot sitzt, dann entsteht eine ganz andere Beziehung als es Architekten leider allzu oft zu ihren Bauherren haben.

Auf diese Anti-Star-Allüren trifft man häufiger bei den jungen, österreichischen Büros. Ist das in Eurem Fall eine Anti-Haltung zur älteren Generation der Grazer Schule?
Sicher, wobei das ja nicht die nächste, sondern eher schon die Großvätergeneration ist. Wir haben Günther Domenig gerade noch an der Uni erlebt, bevor er in Pension ging.

Was ist das Problem mit den Stars?
Mit Domenig gibt's gar kein Problem. Der hat uns gestalterisch nicht sehr beeinflusst, aber als Mensch schon sehr imponiert. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Es ist gut für Graz, dass es Domenig gibt und diesen Begriff der "Grazer Schule", weil das auch internationale Aufmerksamkeit sichert. Nur hatte sich zu unserer Studienzeit eine gewisse Depression breitgemacht. Zuviel von dem, was als "Modell Steiermark" im Bereich des Wohnbaus an Experimenten gewagt wurde, ging einfach daneben. Technisch verfehlt, zu hohe Baukosten. Die Architekten hatten keinen sehr guten Ruf damals. Das hat uns geprägt.

Nun sind Eure eigenen Bauten alles andere als bieder und "auf der sicheren Seite". Ihr mutet den Bewohnern des Nugget zum Beispiel Sichtbetonwände zu, was ja doch ein klassischer Architektentick ist?
Das ist Teil der Identität dieses Gebäudes, von dem klar ist, dass es vielleicht nur 10 Prozent der Leute anspricht, die eine Wohnung suchen. Aber zur Beruhigung: Wir haben ein System von Wandverschalungen entwickelt, das wir denjenigen empfehlen, denen das Haus zwar gefällt, die aber nicht unbedingt mit dem Kopfkissen am nackten Beton liegen wollen. Diese Paneele gliedern gleichzeitig sehr schön die Räume nach eigenen Bedürfnissen. Und es ist absolut okay, wenn jemand darauf Blümchenmuster tapezieren möchte. Nur sollten die dann auch wirklich so stark sein, es mit dem Gebäude aufnehmen zu können. Wir bieten uns da gerne als Berater an.



Gegen Blümchen scheint Ihr wirklich nichts zu haben, im Gegenteil. Bei einem Haus in Hartkirchen, Oberösterreich, habt Ihr sogar selbst Kunststoffvorhänge mit solchen Mustern vorgeschlagen, die stark an die 1970er Jahre erinnern. Bis das Nugget fertig wurde und Eure Arbeit edlere Züge angenommen haben, habt Ihr mit solchen "Trash-Motiven" bereits einiges Aufsehen erregt.
Der "Edel-Grunge"! Das kam ganz ohne Absicht. Es ging uns darum, für das Thema Wohnen spezielle, legere Styles zu entwickeln. Bei unserem Wohnbau G40 hat eine sehr breit angelegte Materialrecherche zum Beispiel ergeben, dass für die Bekleidung der Balkone nur eine Streifenmarkise in Frage kommt, die vielleicht ebenfalls an die Seventies erinnert. Die Prägnanz dieses Musters ist einfach unvergleichlich. Beim "Golden Nugget" geht es um eine sehr viel edlere Erscheinung, weil es hier, wie schon gesagt, besser passt. Aber klar, wenn wir uns umsehen, stoßen wir jetzt überall auf das Gold: Der VIP-Bereich in der Allianz-Arena von Herzog & de Meuron, ein Perrault-Projekt für St. Petersburg oder hier in Graz die Orangerie von SPLITTERWERK, einem andere jungen Büro. Es gibt einfach Ideen, die sich zur gleichen Zeit in verschiedenen Köpfen manifestieren, und in die Welt kommen wollen. Zu Beginn der Planung war uns nicht klar, wie gut wir da im Trend liegen.

Was kommt denn als nächstes?
Das hängt ganz von den Projekten ab. Im Moment beschäftigen wir uns zum Beispiel mit Zen in der Architektur.

Wie bitte?
Ja, das war ein Auftrag für ein Privathaus und hier im Büro kursieren recht verschiedene Auffassungen, was Zen-Buddismus bedeutet. Für den Bauherren ist das ein wichtiges Thema. Vergänglichkeit spielt da eine Rolle und wir haben zuerst mit Materialien experimentiert, die das zum Ausdruck bringen sollten. Aber es ging ihm um etwas anderes: Er wollte eine Form von Offenheit verwirklicht sehen, eine Architektur, die nicht so vorprogrammiert ist. Es ging auch um bestimmte Lichtstimmungen und dass das Haus atmen kann. Gleichzeitig arbeiten wir an einem anderen Extrem: Wir entwickeln eine Studie für ein modulares, sehr günstiges Hausbausystem, aber das ist eigentlich noch nicht spruchreif.

Ein solches System stünde in der Tradition des öffentlichen Wohnbaus in der Steiermark, wo in den vergangenen Jahrzehnten sehr viele Mitbestimmungs-Experimente stattfanden. Wie steht ihr dazu?
Gespalten. Natürlich ist Flexibilität im Wohnbau ein Thema. Gleichzeitig halten wir nichts davon, gemeinsam mit dem Mieter oder Käufer jede Wand zu diskutieren. Wir entwickeln meist eine Reihe von Szenarien, die die Möglichkeiten eines Grundrisses ausloten. Je nach Projekt haben die Wohnungen ganz andere Anforderungen zu erfüllen. Auf dem Wohnungsmarkt wird momentan alles als "Loft" verkauft. Im Büro kursiert deswegen der Witz von dem "4-Zimmer-Loft". So ein Angebot stand wirklich einmal in der Zeitung. Dabei ist klar, dass ein Reihenhaus nun mal ganz andere Bedürfnisse erfüllen muss als ein "Loft".



Das heißt, es gibt keine Prinzipien, die bei allen Eurer Wohnungsbauprojekten gelten?
Schwer zu sagen. Wir sind zwar der Meinung, dass nicht bei jedem Projekt das Rad neu erfunden werden muss, aber trotzdem ist jedes verschieden. Gemeinsam ist das Ziel einen Mehrwert für den Benutzer zu schaffen, und Menschen zu begeistern.

Wohnbauten, das ist der Schwerpunkt Eurer Arbeit?
Bei den realisierten Gebäuden schon. In Planung sind momentan aber auch andere: Etwa ein Hotel für einen Wintersportstandort, wo wir ebenfalls, zusammen mit einem Netzwerk an Partnern, die Projektentwicklung machen und derzeit in Gesprächen mit möglichen Betreibern sind. Ein interessanter Auftraggeber ist derzeit auch die SPAR-Supermarktkette.

Die Tiroler MPreis-Märkte haben gezeigt, dass auch in diesem Bereich gute Architektur möglich ist.
SPAR verfolgt jetzt eine ähnliche Strategie. Zusammen mit dem Grafikbüro Superplus haben wir ein Konzept entwickelt, das auch die visuelle Kommunikation einbezieht.

Um auf den Anfang zurückzukommen: Ihr habt nicht erst mit dem Golden Nugget das Büro Innocad als Marke etabliert, sondern verfolgt bereits seit längerem eine Strategie des "Branding", bei der das Grafikdesign eine große Rolle spielt.
Das betreiben wir ernsthaft, aber auch spielerisch. Es gibt zum Beispiel kein Logo in einem starren Sinne. Statt dessen haben wir, ebenfalls in enger Zusammenarbeit mit Superplus, einen Logo-Baukasten entwickelt, der aus sieben goldenen Quadraten besteht, die immer wieder neu zusammengesetzt werden können. Das ergab sich aus einem zentralen Kommunikationsmöbel im alten Büro und zieht sich bis zu den Quadraten in der Fassade des Nugget.

Solche Branding-Strategien entwickelt Ihr auch für andere, quasi als "visuelle Projektentwicklung"?
Ja, das Spar-Projekt ist ein Beispiel dafür. Wir sehen in der Architektur die Tendenz, von den Spezialprodukten wegzukommen, also von den individuellen Lösungen für jede Bauaufgabe. Statt dessen wird das Erzeugen von Identitäten zunehmend wichtiger. Innerhalb dieses Konzepts ist die Architektur nur ein Bestandteil.

In dem Besprechungsraum hier steht hinter dem Vorhang ein DJ-Pult. Ist das Teil der Innocad-Identität?
Sicher! Aber wir machen hier keine Raves. Bisher nicht, jedenfalls.

Danke für das Gespräch. Ihr könnt die Musik jetzt wieder lauter drehen.

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