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10.06.2014

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Eine italienische Freundschaft?

Wie Gerkan und Mehdorn in Venedig diskutierten


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Brücken rauf und runter, Wasserläufe entlang und durch viele verwinkelte Gassen hindurch – Fußgänger in Venedig müssen lange und verworrene Wege zurücklegen. Doch gerade diese machen Originalität und Identität der Lagunenstadt aus, findet Meinhard von Gerkan (gmp), der in Venedig vergangenen Samstag anlässlich der im Rahmenprogramm der 14. Architekturbiennale gezeigten gmp-Ausstellung „Too good. Two. Be true.“ auf seinen einstigen Erzfeind Hartmut Mehdorn stieß.

Zuerst jedoch hielt er einen Vortrag vor den vielen Zuhörern der symbolträchtigen Zusammenkunft. Das Thema: Die Planungsgeschichten der Flughäfen Tegel (1965-74) und Berlin Brandenburg BER (2006-xx) sowie die mögliche Nachnutzung Tegels. In seiner fast rührenden Präsentation zeigte Gerkan die Ideen des gmp-Konzepts „TXL+ The Urban Tech Republic“. Er endet mit einem „Traum“, der in „Geheimbearbeitung“ mit Hartmut Mehdorn entstanden sei – Tegel als Empfangsflughafen für Staatsgäste. Die letzte Folie zeigt die Flughafenfassade, ein roter Teppich hat sich vor ihr entrollt, Merkel und Obama winken.

Sind aus den zwei prominenten Streithähnen plötzlich Freunde geworden? „Wir haben lange scharf gegeneinander geschossen“, erklärte Gerkan dem neugierigen Publikum. Dann berichtete er von einem „Friedensessen“, das vor etwa zwei Jahren hoch oben im gläsernen Sony-Center stattgefunden habe.

Dass die Beiden trotzdem nicht immer eine Meinung teilen, zeigt sich in der anschließenden Debatte, in der einer der dienstältesten Architekten Deutschlands mit dem Chef der Flughafen-Gesellschaft Berlin-Brandenburg sowie dem früheren Direktor des Flughafens Berlin-Tegel, Robert Grosch, und Philipp Bouteiller von der Tegel Projekt GmbH diskutierte.

Hauptpunkt der Diskussion ist der sich am Flughafenbetrieb abzeichnende Paradigmenwechsel. Mit 40 Jahren liegt für Gerkan nur eine relativ kurze Zeit zwischen seinen zwei Berliner gmp-Flughäfen, die ihm vor Augen führen, dass sie unter völlig unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen entstanden und entstehen. Sicherheitsbestimmungen und Kommerz durchkreuzen seine Entwurfsideale.

Anders als in Venedig sind lange komplizierte Fußwege an Flughäfen fehl am Platze, erklärt der für den „beliebtesten Flughafen mit den kürzesten Wegen“ verantwortliche Architekt. Doch vorbei sind die Zeiten, in denen eine Pommesbude, ein Zeitungskiosk und ein paar Toiletten die Versorgungs-Infrastuktur der Passagiere ausmachten. Heute dominieren Begehrlichkeiten den Reisenden, Passagiere werden zum Shoppen gezwungen. Dabei sollte ein Flughafen ein öffentlicher Raum und mithin eine öffentliche Bauaufgabe sein wie ein Theater oder Museum.

„Der Staat soll den Flughafen dem Markt überlassen“ unterbricht der ehemalige Bahn-Chef Gerkans leidenschaftliches Plädoyer für den öffentlichen Raum und holt ihn zurück auf den Boden der Tatsachen: „Tante-Emma-Läden werden nicht wiederkommen“. Ein Flughafen müsse von sich aus überlebensfähig sein: ein Ort, an dem Passagierströme und deren Kaufkraft gebündelt werden.

Das sind die Faktoren, die die Bauaufgabe Flughafen, die für gmp laut Gerkan mit Tegel als „Tanz in Pfauenfedern“ begann, beim BER im Laufe des Gesprächs von einem „Tanz in Ketten“ gar zu einem „Kampf in Ketten“ wurde. Jede Bewegung verursacht ein Rasseln; was sein Büro davonträgt, ist Rufschädigung. Der Zuhörer fragt sich hier allerdings, in welcher Gesellschaft ein Flughafen nach Gerkans Vorstellungen noch realisierbar wäre – in China vielleicht?

Dennoch verläuft die Diskussion friedlich, zum Schluss wird es gar versöhnlich: Mehdorn richtet sich an Gerkan „Wenn ich der Architekt wäre, und Sie der Geschäftsführer von BER, wäre ich Ihrer und Sie meiner Meinung.“

(Luise Rellensmann)


Am 7. Juli eröffnet, läuft die 14. Architekturbiennale in Venedig noch bis zum 23. November 2014. BauNetz ist Medienpartner des deutschen Beitrags. Unsere Berichterstattung zur Biennale 2014 wird unterstützt von GROHE.

Alle Artikel zur
Architekturbiennale: www.baunetz.de/biennale



Zum Thema:

Ausstellung „Two Good. To Be. True“ auf der gmp-Website


Kommentare

7

kritiker | 13.06.2014 08:46 Uhr

nachfragen


danke, fabian.

es sollte doch jedem klar sein, dass kein mensch auf dieser welt ernsthaft auf die von 'Nachfrage' provokativ gestellten zusammenhänge kommen kann, es sei denn, man möchte bewusst missverstehen, um sich nicht inhaltlich mit der thematik auseinander setzen zu müssen- das berühmte totschlagen von argumenten, das der diskussion nicht weiterhilft.

ich habe viele, viele bücher und biografien von und über speer gelesen, weil es für architekten eigentlich zum standard der ausbildung gehören sollte. 
die interessante frage hierbei ist, wie weit man bereit ist, seinen idealismus, dem man jedem ernsthaften, engagierten architekten unterstellen kann, zu verkaufen, um

1. überhaupt bauen zu können 


2. interessant und groß bauen zu können 


3. ruhm, ehre und vielleicht sogar geld einzufahren.

speer hat nun in einer anderen zeit gelebt als wir und ich bin mit kohl sehr froh über die gnade der späten geburt.

die kernfragen bleiben aber zeitunabhängig die gleichen. und jeder kollege sollte sie sich ehrlich stellen und sich fragen, wie er sie als junger mann beantwortet hätte. 
das interessante bei speer ist doch, das er als ehrgeiziger und sicherlich auch idealistischer architekt startete und sich immer mehr verführen ließ, bis er selbst zum mittäter wurde.

auf dieser stufe sehe ich gottseidank keinen aktuellen deutschen architekten, aber in der zweiten phase bewegt sich so mancher. und hierzu zähle ich in vorderer front mvg. 
(der im übrigen auch mal sehr idealistisch startete, wenn man seine frühen äußerungen zur verantwotung der architekten liest).

wir leben in unserem land in zeiten, in denen es eigentlich überhaupt nicht nötig ist, sich über die maßen zu 'verkaufen'. schon gar nicht, wenn man das standing und den erfolg von mvg hat. meine erwartungshaltung an ihn wäre eine ganz andere, insofern verstehe ich diese anbiederungen an despoten umso weniger. es kann nur einer gewissen hybris geschuldet sein und der sucht nach erfolg, anerkennung, ruhm und wohl auch geld.

6

womischumskaja | 12.06.2014 22:10 Uhr

wieso immer meinhard

Sind nicht die 1970er nicht doch schon vorbei? Ist das Flughafengebäude in Tegel wirklich so ein Kleinod? Es wäre so schön, mal nicht Meinhard erleben zu müssen, wie er etwas zu etwas zu sagen hat. Gibt es niemanden, der ihn ersetzen kann. Einfach mal nachdenken...

5

mom | 12.06.2014 16:19 Uhr

geduld

mal genau betrachtet: weder mein-hard v.g noch hart-mut M sind verantwortlich für eine gesellschaftliche entwicklung, die nur noch von geistlosen kommerziellen interessen geprägt ist, auch wenn sie es vielleicht gerne wären. und das gute am BER-liner oder ELB-philharmonischem Desaster ist, dass es OFFEN-KUNDIG wird. Gut ist auch dass dadurch das reine kommerzielle Interesse immer mehr an bedeutung verliert also geduld ist angesagt...

4

Nachfrage | 11.06.2014 10:27 Uhr

@fabian

der speer-vergleich bleibt unter architekten, was der hitler-vergeich unter politikern ist: nie eine gute idee.

speers problem damit zu beschreiben, dass er sich "doch notfalls immer arrangiert" hätte, ist eine nicht akzeptabke verhamlosung, die einer nachfrage nicht nur würdig ist, sondern diese sogar zwingend notwendig macht.

3

fabian | 11.06.2014 04:03 Uhr

@Nachfrage

"dass er sich eben doch notfalls immer arrangiert, egal wie despotisch und umstritten das gegenüber sein möge. "

Ich nehme an diese Zuege. Wie er bereits erklaert hat. Damit will ich nicht sagen, dass ich dem zustimme, aber es ist eigentlich eine recht klare Aussage, die keiner pseudo-provokativen Nachfrage bedarf oder wuerdig ist.

2

Nachfrage | 10.06.2014 17:26 Uhr

@kritiker

Welche speerschen Züge meinen Sie ?

Die Beteiligungen am Bau von Konzentrations- und Massenvernichtungslagern oder den Erwerb aus jüdischen Notverkäufen? Die Mitarbeit bei der Erstellung von Deportationslisten und die Tätigkeit als Rüstungsminister? Bitte um Aufklärung

1

kritiker | 10.06.2014 15:54 Uhr

gerkan

wahrscheinlich ist genau das mvg's problem, das in der nachschau bleiben wird: dass er sich eben doch notfalls immer arrangiert, egal wie despotisch und umstritten das gegenüber sein möge.
hauptsache, von mvg gebaut.
das hat zunehmend schon speersche züge.
hoffentlich sehen viele junge kollegen das kritisch und fühlen sich nicht zur nachahmung animiert.

 
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