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31.08.2017

Bilder vom Fortschritt

Wenn studentische Entwürfe nach der Zukunft fahnden ...


Ein Kommentar von Wolfgang Kil

Was ist eigentlich aus dem Fortschritt geworden? Wo ist er geblieben, nachdem er Jahrhunderte lang Menschen beflügelt, angespornt, in mancher Verzagtheit getröstet hat? Dieser Seufzer eines Kollegen unlängst in der Bauwelt kommt nicht von ungefähr. Auch im DAB, dem Zentralorgan der Bundesarchitektenkammer, las man vom „Mehltau der Zukunftsangst“, der sich über Architektur und Städtebau gelegt hat und jegliche Vorfreude auf alles Kommende trübt.

Fortschritt, Zukunft, Utopie? Wo man munter drauflos denken und entwerfen darf, in studentischen Seminaren etwa, herrscht an solchen Reizvokabeln kein Mangel. Allerdings füllt jeder sie mit seinen Lieblingsthemen: Mal Tempo, mal Entschleunigung, heute Skyline, morgen wuselnde Urbanität. Für die einen ist der Planet nur mit Hightech zu retten, für andere nur per Subsistenz und Resilienz. Manche sind offen für alles Neue, manche kontextsicher und prinzipienfest. Aber wo – bitte schön – ist denn nun wirklich „vorn“?

Wie man mit wohlfeilem Zukunftsraunen statt klarer Visionen eher Verwirrungen erntet, brachten unlängst zwei Hochschulwettbewerbe ans Licht. In beiden wurden Berliner Dauerthemen aufgerufen, um nach dem Fortschritt zu fahnden. Erstes Beispiel: der Ernst-Reuter-Platz. Den imposantesten Verkehrskreisel der City West möchte der Berliner Werkbundzukunftsfähig gestalten“. Dieses „Manifest der autogerechten und aufgelockerten Stadt“ sei, so die Ausschreibung, „den völlig veränderten gesellschaftlichen Herausforderungen an eine zukunftsfähige Stadt nicht mehr gewachsen.“ Was für ein Unterfangen, denn obwohl der Platz Ensembleschutz genießt (eben als „Manifest“!), sollte er nach den Vorstellungen der Veranstalter „revitalisiert“ und „verdichtet“ werden. Ganz oben auf ihre Agenda hatten die Werkbundler ihr ureigenes Herzensanliegen gesetzt: „Rückbau der autogerechten Stadt“.

Einer der beiden Preisträgerentwürfe zeigte dann auch lehrbuchhaft, in welche Richtung hier „Zukunftsfähigkeit“ vermutet wird: Beseitigung des Verteilerrondells zugunsten einer schnurgeraden Avenida mit versetzten Seiteneinmündungen (Verkehrsbremse!), daneben ein braves Viereck als kuschelige Plaza, leicht abgesenkt zwischen Telefunken-Hochhaus und Architekturfakultät. Drumherum mal dickere, mal schlankere Hochhäuser; solcherart „Zukunftsbilder“ fehlten bei keinem der Einsender. Die kamen übrigens aus Hamburg, München und Dresden, von Hochschulen, deren Städtebau-Lehrstühle jenen forcierten Antimodernismus vertreten, der auch dem Berliner Werkbund schon seit längerem als Markenzeichen gilt.

Das zweite Berliner Dauerthema: die Bauakademie! Um deren Wiedererstehung rangeln sich diverse Planer- und Politikerkreise, innovative Nutzungskonzepte sollen die schlicht vorausgesetzte Rekonstruktion im letzten Moment noch einmal infrage stellen. Jetzt kam eine überraschende Wortmeldung von der EPF Lausanne. Zwei dort Lehrende, Anja und Martin Fröhlich (wohl nicht zufällig Berliner), hatten für den Akademie-Bau zu einer „zeitgemäßen Interpretation im Schinkelschen Sinne“ aufgerufen. Die textile Fassadenattrappe umfängt längst ein wildes Biotop aus Bäumen und Sträuchern, jetzt endlich sollten „Lösungen gefunden werden, die sowohl von technischer Innovation als auch von Poesie getragen sind – inspiriert von der Freiheit, alles immer neu und weiter zu denken“.

Von „Innovation, Poesie und Freiheit“ angestachelt, kamen 23 Varianten der markanten kistenförmigen Kubatur zustande – gestapelt, gerastert, gereiht oder begrünt. Gemauert, verglast, skelettiert oder drapiert. Seltsamerweise standen die Objekte sämtlich in düsterem Dämmerlicht. „Mehltau der Zukunftsangst“? Mitnichten, wenn man sich nach den Fassaden in die unendliche Raumvielfalt der Geschosse vertiefte: Nutzungsideen für das strittige Schinkel-Memorial zuhauf! Doch wozu dann Schaubilder in solch anachronistischem Layout? Etwa „Interpretation im Schinkelschen Sinne?“ Immerhin, die Parade der Baustrukturen hatte Schauwert, und das sei wichtig, so Oliver Elser zur Ausstellungseröffnung von „STEAL Schinkel“ in der Architektur Galerie Berlin: Zukunftsdebatten bräuchten Bilder. Sie sind die Köder, um Diskursanten in die Arena zu locken, der Stoff, an dem sich Rede und Gegenrede entzünden.

Vermutlich hatte die „Schauwert-Theorie“ auch beim Wettstreit um den Ernst-Reuter-Platz Wirkung gezeigt. Sicher zur größten Überraschung der Werkbund-Juroren hatte es nämlich der einzige Entwurf, der den Kreisel nicht nur beibehalten, sondern sogar mit Wucht neu thematisieren wollte, gleichfalls auf das Siegerpodest geschafft. Entweder war dem originellen Beitrag, der vorschlug, durch Lesesäle auf Kellerniveau das peinliche Fiasko der gescheiterten Berliner Landesbibliothek gleich mit zu lösen, der Applaus schlicht nicht zu versagen. Oder dieser verdammte Modernismus liefert einfach die rasanteren Bilder. Und schon war die Frage nach dem urbanistischen Fortschritt auf irritierende Weise wieder offen.




Zum Thema:

Die Ausstellung „STEAL Schinkel“ in der Architektur Galerie Berlin ist noch bis zum 2. September zu sehen. Heute, ab 18.30 Uhr diskutieren dort Martin Fröhlich von der EPF Lausanne mit der Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, dem Journalisten Florian Heilmeyer und Hans-Dieter Nägelke vom Architekturmuseum der TU Berlin.


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ein Siegerentwurf im Studentenwettbewerb des Deutschen Werkbund Berlin „City West – Visionen für den Ernst-Reuter-Platz in Berlin“ von Jonas Käckenmester, David Lüken und Daniel Pehl, HCU Hamburg

ein Siegerentwurf im Studentenwettbewerb des Deutschen Werkbund Berlin „City West – Visionen für den Ernst-Reuter-Platz in Berlin“ von Jonas Käckenmester, David Lüken und Daniel Pehl, HCU Hamburg

ein Siegerentwurf im Studentenwettbewerb des Deutschen Werkbund Berlin „City West – Visionen für den Ernst-Reuter-Platz in Berlin“ von Jonas Käckenmester, David Lüken und Daniel Pehl, HCU Hamburg

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Semesterprojekt Architekturschule im Atelier East and der EPF Lausanne, Entwurf von Darine Dandan und Soukaïna Richard

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