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03.12.2015

Wohnungsfrage

Fünf Antworten von Wilfried Kuehn


Neue Wohnmodelle, andere Planungsparameter und eine IBA für Berlin: Das wünscht sich Wilfried Kuehn, neben Hila Peleg, Jesko Fezer und Nikolaus Hirsch einer der vier Kuratoren der Ausstellung Wohnungsfrage, die noch bis zum 14. Dezember im Haus der Kulturen zu sehen ist.

Von Jeanette Kunsmann


Das Portfolio von Kuehn Malvezzi richtet sich eher an Kunst- und Kulturinstitutionen, wie würden Sie denn ein Gebäude entwerfen, das auf die Wohnungsfrage antwortet?
Aus der Arbeit mit Kunst lässt sich lernen, dass Architektur sich nicht aufdrängen muss, sondern Freiräume schaffen kann. Wenn wir mit Künstlern oder Kuratoren arbeiten, führen wir einen intensiven Dialog über die künstlerischen Inhalte. Mit wem sprechen Sie beim Wohnbau? Das Wohnen betrifft jeden von uns, doch nur wenige sind in der Lage, die Architektur ihres Lebensraums selbst zu bestimmen. Der Entwurf eines Wohnraums sollte daher zuerst den Bewohner einbeziehen und nicht abstrakt gedacht werden. Wir können Formen für eine Beteiligung der Wohnenden am Entwurf finden, ohne dafür in den privaten Kleinstmaßstab des Eigenheims oder der Baugruppe zurückzufallen.

Sie sind in Hamburg geboren, haben in Mailand und Lissabon studiert und wohnen jetzt in Berlin. Welche besonderen Wohnformen in welcher Stadt gefallen Ihnen am besten – und haben in Ihren Augen eine Zukunft?

Der Wohnungsbau aus der Zeit des Baudirektors Fritz Schumacher hat Hamburg städtebaulich und sozial erneuert. Durch die Verwendung hochwertiger Materialien wie Fassadenklinker und das Bewusstsein für die Stadträume um die Gebäude haben Schumacher und seine Kollegen dauerhafte Architektur geschaffen. In Mailand ist der Wohnungsbau der 1930er bis 50er Jahre besonders interessant, weil Architekten wie Asnago & Vender in ihren Bauten die historischen Stadträume mit zeitgenössischen Wohngebäuden weitergebaut haben. In Hamburg wie in Mailand dominiert nicht das einzelne Gebäude oder die extravagante Handschrift eines Architekten, sondern das Zusammenwirken der Teile. Und in beiden Fällen liegt die Eleganz auch in der nachhaltigen Materialwahl, die den Stadtraum prägt. Damit diese Qualität im kommunalen Wohnungsbau heute wieder möglich wird, bedarf es einer Kulturrevolution in der Politik: Das Kosten-Nutzen-Verhältnis muss wieder langfristig berechnet werden, und angesichts der niedrigen Zinsen lohnt es sich sogar besonders, heute in langlebige Bauwerke und Stadträume zu investieren. Es geht auch darum, den Anspruch des frei finanzierten wie des geförderten und sozialen Wohnungsbaus wieder zu gewinnen, gesellschaftlichen und nicht nur privaten Raum zu erzeugen.

Kolabs, Realism Working Group, Stille Straße und Kotti & Co: Werden die vorgestellten 1:1 Modelle weiterverfolgt und ausgearbeitet? Welches Potential sehen Sie in diesen Wohnformaten?
Wir sind überzeugt, dass es nicht bei diesen vier Modellen bleiben kann. Sie sind ein Anstoß, um das Wohnen als Erfahrung möglichst vieler erneut zu thematisieren. Durch ein 1:1-Modell wird der Entwurf zum erfahrbaren Raum, so dass es nicht Experten vorbehalten bleibt, Pläne und Maßstabsmodelle zu verstehen. Unsere Ausstellung ist ein Plädoyer für einen Diskurs des Konkreten. Selbstverständlich löst kein Entwurf alle Probleme des Wohnungsbaus auf einmal. Der Punkt ist ein anderer: Keines der hier entstandenen Wohnmodelle könnte auf der Grundlage heutiger Planungsparameter und Briefings öffentlicher oder privater Bauträger an einem Architekturwettbewerb teilnehmen, geschweige denn ihn gewinnen. Die Ausstellung ist wahrscheinlich der letzte Raum, in dem die Möglichkeit besteht, Ideen dieser Art öffentlich zu erarbeiten, zu zeigen und zu diskutieren. Dabei sollte es eigentlich unser gesellschaftlicher Standard sein, dass Architekten zusammen mit Stadtbewohnern Wohnquartiere nach neuen Planungsideen entwickeln und realisieren, so wie es 1957 und 1987 in den Berliner Internationalen Bauausstellungen wenigstens im Ansatz erfolgreich geschah.

Hannes Meyer, Martin Wagner und Friedrich Engels: Die Wohnungsfrage wirft auch einen Blick zurück. Was können wir aus der Vergangenheit lernen?
In unserer Wohnungsfrage-Publikationsreihe haben wir wichtige Titel und Dokumente der Moderne kommentiert neu herausgegeben. Engels klärt 1872 Begriffe und Grundlagen, die zum Verständnis des Wohnungsbaus unerlässlich sind, insbesondere die Frage des Eigentums. Diese Frage treibt auch Martin Wagner um, der 60 Jahre nach Engels und mitten in der Wirtschaftskrise 1932 anlässlich seiner Ausstellung „Sonne, Luft und Haus für alle“ nicht umhin kommt, die Architektur des Wohnens ins Verhältnis zu Eigentum, Finanzierung und gesellschaftlicher Lebenswirklichkeit zu stellen. „Das wachsende Haus“ war sein letzter öffentlicher Beitrag, bevor die Nationalsozialisten Wagner 1933 seines Amts als Berliner Stadtbaurat enthoben. Wir können daraus etwas lernen: Für einen erfolgreichen Wohnungsbau brauchen wir Modelle des Besitzes und der Auftraggeberschaft, die über die einfache Unterscheidung von Eigentum und Miete hinausgehen. Und dies sehen Sie ja auch in den Projekten unserer Ausstellung.

Die Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt schließt am 14. Dezember. Werden Sie mit den anderen Kuratoren Hila Peleg, Jesko Fezer und Nikolaus Hirsch das Projekt weiterverfolgen?
Wenn geeignete neue Situationen aus unserer Ausstellung erwachsen, sind wir bereit, das Projekt „Wohnungsfrage“ weiter zu entwickeln. Was wir aber auf keinen Fall machen werden, ist eine konventionelle Wanderausstellung. Interessant wäre es, das Konzept der Zusammenarbeit lokaler Initiativen mit internationalen Architekten in anderen Städten zu erproben. Für Berlin muss es hingegen unser aller Ziel sein, eine neue IBA ins Leben zu rufen, die das Thema 1:1 vom Ausstellungs- in den Stadtraum trägt.

Wilfried Kuehn moderiert am Mittwoch, 9. Dezember 2015, die Diskussionsrunde „Lässt sich Gemeinschaft bauen?“ - mit: Kolabs und Petra Mai-Hartung (Studentenwerk), Andrea Hofmann (Raumlabor), Susanne Hofmann (Baupiloten), Max Manzey (Studis gegen hohe Mieten) und Andreas Ruby. Die Ausstellung „Wohnungsfrage“ ist noch bis zum 14. Dezember 2015 im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, zu sehen. BauNetz ist Medienpartner des HKW-Projekts Wohnungsfrage


Zum Thema:

www.hkw.de


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Wilfried Kuehn, Foto: © Wilfried Kuehn

Wilfried Kuehn, Foto: © Wilfried Kuehn

Amie Siegel: „Quarry“, 2015, HD-Video, Ton, Loop, Foto: © Jens Liebchen / Haus der Kulturen der Welt

Amie Siegel: „Quarry“, 2015, HD-Video, Ton, Loop, Foto: © Jens Liebchen / Haus der Kulturen der Welt

Ausstellungsansicht, Foto: © Jens Liebchen / Haus der Kulturen der Welt

Ausstellungsansicht, Foto: © Jens Liebchen / Haus der Kulturen der Welt

Maria Eichhorn: „In den Zelten 4 / 5 / 5a / 6 / 7 / 8 / 9 / 9a / 10, Kronprinzenufer 29 / 30, Beethovenstraße 1 / 2 / 3 (1832 bis 1959) > John-Foster-Dulles-Allee 10 (seit 1959), Berlin“, Foto: © Jens Liebchen / Haus der Kulturen der Welt

Maria Eichhorn: „In den Zelten 4 / 5 / 5a / 6 / 7 / 8 / 9 / 9a / 10, Kronprinzenufer 29 / 30, Beethovenstraße 1 / 2 / 3 (1832 bis 1959) > John-Foster-Dulles-Allee 10 (seit 1959), Berlin, Foto: © Jens Liebchen / Haus der Kulturen der Welt

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