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30.04.2014

Only Italy! in Moskau

Falk Jaeger über Architekturzeichnungen


Eine laufende Ausstellung in Moskau mit dem Titel „Only Italy!“ bietet eine zauberhafte Reise in klassische Gefilde. Gezeigt werden Architekturzeichnungen aus vier Jahrhunderten mit dem Blick aus Russland nach Italien. Falk Jaeger hat die Ausstellung gesehen.

Wer als Architekt in Bauakten des 18. oder 19. Jahrhunderts zu recherchieren hat, wird das Archiv beschämt wieder verlassen. Die Zeichenkünste der Altvorderen sind frappierend, auch wenn es „nur“ um Baupläne, gewissermaßen „Gebrauchsgrafik“ geht. Wie erst, wenn es sich um die hohe Meisterschaft handelt! Um jene Kunst zum Beispiel, die von der Fotografie abgelöst wurde, bei der es darum geht, Landschaften, Städte, Gebäude zeichnerisch zu dokumentieren, Bildbericht aus fremden Landen zu erstatten. Oder um die Darstellung ungebauter Planungen, Entwürfe, Fantasien, ein Job, der heute per Computer erledigt wird und kaum mehr künstlerische Fertigkeiten erfordert.

Das Italien der Renaissancezeit gilt als Wiege der Architekturzeichnung. Man entdeckte die Antike und wollte sie aufs Papier bannen, auch zeichnerisch rekonstruieren. Italien war das Sehnsuchtsland der Kunstfreunde aus Nordeuropa, besonders aus England, die selbst zeichneten oder das Gesehene in Bildform mit nach Hause nehmen wollten.

Hatte Matthäus Merian Anfang des 17. Jahrhunderts noch seine topographischen Veduten in der Absicht möglichst informativer Vermittlung der Stadtansichten, auf Vollständigkeit bedacht, aber mit überhöhten Wahrzeichen und Bedeutungsträgern wiedergegeben, trat später, etwa bei den Canalettos, bei Giovanni Paolo Panini, bei  Giambattista Piranesi, die künstlerische Empfindung in den Vordergrund. Sowohl das Motiv als auch die Perspektive wurden sorgfältig ausgewählt. Ziel war das harmonische, wohlkomponierte, zuweilen auch pittoreske Bild. Die Verwandtschaft zum Bühnenbild, zur Architekturfantasie und zum Capriccio lag nahe. Viele der Künstler bedienten alle Genres, schufen Veduten für Kulturreisende aus England und entwarfen repräsentative Bauten für Päpste und Herzöge, arbeiteten für Theater und Verleger.

Russland war eines der Länder im Norden, die besondere architektonische Beziehungen zu Italien unterhielten. Barock und Klassizismus in St. Petersburg sind u.a. von Rossi, Rastrelli,  Rinaldi, Gonzago und Quarenghi geprägt und ohne die Formen und Ideen aus dem klassisch-antiken Repertoire Italiens nicht denkbar.

Ein Schlaglicht auf diese Beziehungen zwischen Italien und Russland zu werfen, sind die Berliner Tchoban Foundation und die Moskauer Tretjakow-Galerie angetreten. In einer aus beiden ‚Sammlungen mit hochkarätigen Werken beschickten prachtvollen Ausstellung zeigen das kürzlich am Berliner Pfefferberg eröffnete Museum für Architekturzeichnung und das traditionsreiche staatliche Moskauer Museum im Ingenieurbau der Tretjakow-Galerie verschiedene  Aspekte des Themas. Wie italienische, französische, englische oder russische Künstler seit dem 18. Jahrhundert die italienische Architektur gesehen haben.

Wie sich die Italienrezeption im Russland des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelte, zeigt die atmosphärisch verzaubernde Ausstellung ebenso wie den Einfluss Italiens, der in der sowjetischen und der zeitgenössischen Architekturdarstellung zu spüren ist. Meisterwerke von Jean-François Thomas genannt de Thomon scheinen in Motivik und Farbgebung die deutsche Romantik vorwegzunehmen. Ein unbekannter Meister ist mit zwei höchst suggestiven Blättern vertreten, Paraphrasen auf Piranesis „Imaginäre Gefängnisse“. Giovanni Antonio Canal genannt Canaletto führt den Betrachter nach Venedig, während Giovanni Paolo Panini römische Architekturen zu wunderbar komponierten Capricci arrangiert. Und dass die Neoklassizisten der russischen Revolutionszeit Helfreich, Scholtowski und Fomin in den zehner Jahren des 20. Jahrhunderts in Rom und Pompeji ihre Staffelei aufgestellt hatten, kann nicht überraschen. 
 
Die letzte Abteilung präsentiert Blätter von vier zeitgenössischen russischen Architekten, Maxim Atajanz, Sergej Kuznetsov (gegenwärtig Stadtbaumeister Moskaus), Michael Filippow und Sergei Tchoban, in deren zeichnerischem Werk Italien eine entscheidende Rolle spielt. Drei von ihnen genossen eine traditionelle Zeichenausbildung in St. Petersburg, Kuznetsov studierte am Moskauer Architekturinstitut. Alle vier reihen sich scheinbar bruchlos ein in die historische Abfolge und führen die Tradition der im Computerzeitalter leider unzeitgemäß gewordenen Kunst der Architekturzeichnung fort.
 
„Only Italy!“, bis 27. Juli in der Tretjakow-Galerie, Lavrushinskiy pereulok 10, 101000 Moskau. Der großartig ausgestattete Katalog mit 440 Seiten und rund 210 Abbildungen kostet 1.000 Rubel (20 Euro).


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Sergei Tchoban, Capriccio Forum Romanum (nach Piranesi), 2013

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Giovanni Paolo Panini, Capriccio, um 1750

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Angelo Tozello, Bühnenbild Kathedrale, 1824

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Anonymus, Bühnenbild Gefängnis, um 1800

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