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22.11.2017

Glücksfall statt Katastrophe

Erweiterung Moderne Galerie in Saarbrücken von Kuehn Malvezzi


Vergangenen Donnerstag erschien die Baunetzwoche #501 unter dem Titel „Saarbrücken ist zurück“. Darin auch der Beitrag zur Erweiterung der Modernen Galerie. An dieser Stelle haben wir ihn um die Pläne der Architekten ergänzt.

Von Katrin Voermanek


Mit der Vollendung des Erweiterungsbaus der Modernen Galerie durch Kuehn Malvezzi (Berlin), Michael Riedel und bbz landschaftsarchitekten hat eine Geschichte mit vorgezeichneter Katastrophe doch noch ein gutes Ende genommen. Der Erweiterungsbau der Modernen Galerie, das erste bedeutsame Museumsprojekt in Saarbrücken seit Jahrzehnten, drohte so krachend zu scheitern, dass es in der Seele wehtat. Ein schlecht durchgeführter Wettbewerb, motivierte, aber zu unerfahrene Architekten, Korruptionsvorwürfe, Kostenexplosion, Baustopp, Untersuchungsausschüsse, hin- und hergeschobene politische Verantwortung – die Projekthistorie hat das Zeug zum peinlichen Filmplot. Und nun gibt es doch noch ein Happy End.

Zurück zum Anfang: 1968 eröffnete inmitten einer Grünanlage am Ufer der Saar der erste Abschnitt der Modernen Galerie des Saarlandmuseums. Zwei weitere Pavillons folgten 1973 und 1976. Hanns Schönecker, Architekt aus St. Ingbert, hatte sich 1962 im Wettbewerb durchgesetzt und einen Bau geschaffen, der von der damaligen Kritik in einem Atemzug mit der zeitgleich eröffneten Bielefelder Kunsthalle und der Berliner Neuen Nationalgalerie genannt wurde. Eine in die Landschaft hineingegossene Grundrissfigur, leicht und filigran, ideale Ausstellungsräume mit Oberlichtbändern, über denen die Decken zu schweben scheinen.

Schon damals hatte Schönecker als zukünftige Erweiterung einen zusätzlichen Pavillon vorgesehen. Aber erst 2007 wurde ein Wettbewerb zur Erweiterung des Museums entschieden, damals noch unter dem Namen „Galerie der Gegenwart“, später verselbständigte sich der Arbeitstitel „Vierter Pavillon“. Aus heutiger Sicht ist klar, dass viele Probleme bereits in der Auslobung begründet lagen, denn sie verlangte zu viel Baumasse auf einem zu kleinen Grundstück. Gewinner des damaligen Verfahrens, an dem sich 350 Büros beteiligten, waren die Darmstädter Architekten Hochberg Neff. Sie schlugen einen langen, mehrfach abgeknickten Riegel vor, der allerdings die Grenzen des Baufensters überschritt. Mehrere Büros rügten deswegen das Verfahren, einige klagten dagegen. Das Ergebnis wurde annulliert, die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz verhandelte mit den nachplatzierten Büros und beauftragte schließlich den Gewinner des zunächst 5. Preises, twoo Architekten aus Köln.

Wegen Untreue vor Gericht

2009 war Spatenstich, bald darauf überschlugen sich die Ereignisse. Der Landesrechnungshof monierte, die ursprüngliche Kostenschätzung von 12,6 Millionen Euro sei von Anfang an unrealistisch gewesen und – so ist es in einem Landtagsprotokoll in seltener Klarheit nachzulesen – offensichtlich bewusst untersetzt worden, um überhaupt eine Freigabe des Projekts zu erreichen. Später wurden Baumängel ins Feld geführt, ob und in welchem Ausmaß sie bestanden, ist bis heute umstritten. Museumsdirektor Melcher geriet ins Gerede, wurde zunächst beurlaubt, dann gekündigt und musste sich schließlich wegen Untreue und Vorteilsnahme vor Gericht verantworten. Es kam zu einem Baustopp, der die Kosten weiter in die Höhe trieb. Heute wird das Gesamtbudget mit 39 Millionen Euro beziffert – in einem Bundesland, das wegen seiner Finanznöte unter Haushaltsaufsicht des Bundes steht, eine echte Hausnummer.

An einem der vielen Tiefpunkte der Geschichte fiel Volker Staab eine entscheidende Rolle zu. Eigentlich war er als Preisrichter im ersten Verfahren vorgesehen, konnte damals aber nicht teilnehmen. Viele Jahre später wurde er als Museumsexperte eingeladen und brachte einen moderaten Ton in die zuvor immer hitziger geführte Debatte, in der manche nur noch den Abriss des bisher Gebauten für die richtige Lösung hielten. Doch Staab beschwichtigte, gute Architekten könnten auch aus diesem Rohbau noch etwas machen. Er unterstütze die Idee eines VOF-Verfahrens zur Findung eines Büros, das weiterbaut. twoo Architekten hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits freiwillig zurückgezogen, beteiligten sich aber wie auch Volker Staab als Mitglieder der Jury.

Entwurfsideen bei 300 km/h


Das Büro Kuehn Malvezzi, fest in der Kunstszene verankert und mit besten Museumsreferenzen ausgestattet, wurde zur Teilnahme aufgefordert. Nach anfänglichem Zögern aufgrund der Vorgeschichte entschied man sich, einen Entwurf zu präsentieren. Die Arbeit entstand von Beginn an als Gemeinschaftsprojekt mit dem Frankfurter Künstler Michael Riedel, mit dem die Architekten zu jener Zeit an einer Ausstellung im Palais de Tokyo in Paris arbeiteten. Es mag eine Fußnote dieser Erzählung bleiben, dass die entscheidenden Entwurfsideen bei 300 km/h auf gemeinsamen Zugfahrten mit dem TGV zwischen Saarbrücken und Paris entstanden. Das Haus um ein bisschen „Kunst am Bau“ zu ergänzen, war dabei nie der Ansatz – sondern eine Einheit von Kunstwerk und Architektur zu schaffen. Dafür bekam das Team den Zuschlag.

An dieser Stelle kommt auch Roland Mönig ins Spiel, der den Mut hatte, sich auf die vakante Stelle des Museumsdirektors zu bewerben. Hut ab! Wusste er doch sehr wohl um die explosive Vorgeschichte. Zudem war klar, dass das zweite Auswahlverfahren ohne sein Zutun entschieden würde, denn seine Amtszeit begann erst kurz nach der Jurysitzung. Sein Wagemut wurde belohnt, denn er bekam die denkbar besten Partner, und man fand schnell eine gemeinsame Wellenlänge.

Die Architekten sorgten zuerst einmal dafür, dass die Bezeichnung „Vierter Pavillon“ nicht mehr verwendet wird. Es ist ein Erweiterungsbau. Er folgt nicht der Logik der drei quadratischen Volumen, in denen bisher die Sammlung zu sehen war. Der Neubau korrespondiert mit ihnen, ebenso mit den anderen Bauteilen, dem Eingangsgebäude und dem Wechselausstellungstrakt. Aber er ist nicht ein Vierter im Bunde der Pavillons, er folgt seinen eigenen Regeln. Festzuhalten bleibt, dass er zu hoch und zu massiv ist.

Daran ändert auch die Rettung des Gesamtprojekts nichts – man würde ihn sich kleiner wünschen, gerade von der Bismarckstraße aus gesehen. Aber was zuvor drohend im Raum stand, nämlich dass dem feingliedrigen Schönecker-Komplex die Luft zum Atmen genommen, dass er durch eine falsche Erschließung zum Annex degradiert würde und komplett missverstanden hinter einer mediokren Box verschwände, diese Katastrophe konnte erfolgreich abgewendet werden.

Stadtplatz als Textkunstwerk

Kuehn Malvezzi und Michael Riedel haben den Zugang von der Straße vollständig neu gestaltet und einen Stadtplatz geschaffen, im Zusammenspiel mit einer veränderten Erschließung der Musikhochschule. Riedels Textkunstwerk bindet die ganze Anlage inhaltlich zusammen und nimmt den Besucher bereits hier in Empfang. Helle, mit Text bedruckte Steinplatten führen ihn an der Erweiterung vorbei, hin zum alten und neuen Eingang des Ensembles. Am Boden und auf Fassadenplatten steht die Originalmitschrift einer Debatte des Saarländischen Landtags über den Neubau. Dieses Prinzip des Transkribierens und Visualisierens eines authentischen Kommunikationsprozesses wendet Riedel häufiger an. Und so findet auch hier, wo es all die Jahre an Transparenz mangelte und die elende Vorgeschichte nicht unter den Teppich gekehrt werden darf, eine Sichtbarmachung statt. Wie in einer Art gedanklichem Perpetuum Mobile manifestiert sich ein Schritt auf dem Weg zur Entstehung des Kunstwerks in ihm selbst.

In der Fassade stellen die Architekten den hellen Kunststeinplatten, über die der Text verläuft, Wandflächen mit dunkelbraunem Rauputz zur Seite. Die Aufteilung der Flächen entspricht einer Übertragung der Grundrissfigur des Ensembles, sozusagen aus der Horizontalen in die Vertikale geklappt. Wilfried Kuehn lobt das Bescheidene und Einfache des Putzes, ein organisches, fugenloses Material, das von Hand aufgebracht wurde. Es tritt in den Hintergrund und überlässt Michael Riedel die ganze Aufmerksamkeit. Gemeinsam haben beide Materialien trotz aller Unterschiede eine spürbare Verwandtschaft zu Schöneckers Nadelfluh, einem Naturstein, der, so beschrieb es der Architekt in einem Interview, wenn er gesägt wird, besonders schön Kiesel, Einschlüsse und Poren zeigt. Er hatte das Material seinerzeit gewählt, weil ihm Beton für den Zweck nicht edel genug erschien.

Bei der Erschließung trafen Kuehn Malvezzi eine der wichtigsten Entwurfsentscheidungen: Sie schlossen den vorgesehenen Eingang des Erweiterungsbaus mit einem Fenster und gaben dem Eingangspavillon Schöneckers seine Funktion als Herzstück und „Verteiler“ im Ensemble zurück. Das ursprüngliche Foyer im Neubau, das als Standort von Kassentresen und Postkartenständern deutlich unterfordert gewesen wäre, ist nun ein umschlossenes Atrium. Mit einer Höhe von 14,5 Meter eignet es sich zur Präsentation außergewöhnlicher Kunstwerke, zur Eröffnung ist es eine raumgreifende, eigens für den Ort konzipierte Installation von Pae White.

Prinzip der Akkupunktur


Ansonsten ging man nach dem Prinzip der Akupunktur vor, sagt Wilfried Kuehn: kleine Mittel, große Wirkung. Einzelne Wände wurden umgestellt, insgesamt mehr Hängefläche geschaffen. Eine Treppe wurde stillgelegt und hinter einer Wand verborgen, die Restauratoren bekamen statt im Keller im Erdgeschoss Platz für ihre Werkstätten. Für größere bauliche Eingriffe war gar kein Geld da, und Architektur sei ohnehin am besten, wenn man sie nicht sähe, so Kuehn. Es habe sie gereizt, mit dem Rohbau zu arbeiten, innerhalb dieses engen Korsetts eine gute Lösung zu finden. Mit so schwierigen Vorgaben sei es viel eher nötig zur Höchstform aufzulaufen, als wenn alles erlaubt ist.

Ausgehend vom Schönecker-Foyer führt der Weg in den Neubau, wo den Besucher nun ein kontinuierlicher, spiralförmiger Bewegungsfluss erwartet. Er wird von unten nach oben geleitet, durch acht Säle, auf hellgrauem Gussasphalt von Raum zu Raum, ohne Schwellen und – anders als in der Konzeption von twoo Architekten – auch ohne störende Türen. Es entstand ein Parcours, der sich um das Atrium herum in die Höhe schraubt und von dem aus sich immer wieder Blicke in den Luftraum hinein und über ihn hinweg zur anderen Seite öffnen.

1.500 Quadratmeter Ausstellungsfläche hat das Museum hinzugewonnen. In den Ausstellungsräumen werden technische Installationen sichtbar, aber bestens aufgeräumt, unter der Decke geführt. Die Haustechnik des Erweiterungsbaus war fertig geplant, aber vieles musste nach der Übernahme noch einmal komplett neu gedacht werden. Eine Menge Arbeit ist in die Neukonzeption von Brandschutz, Lüftung und Licht geflossen. „Man muss, um ein gutes Museum zu bauen, die Technik dahinter im Griff haben“, sagt Wilfried Kuehn. Hier machte sich der große Erfahrungsschatz des Büros auch noch einmal auf einer ganz praktischen Ebene bezahlt.

Am Ende sei es vor allem immer um die Würde des Altbaus gegangen, sagt Direktor Mönig, und die ist nun gewahrt. Bis die Erweiterung nicht immer nur als etwas wahrgenommen wird, das zum Glück weniger schlimm geworden ist als befürchtet, wird es Zeit brauchen. Dass wir irgendwann in ihm einen guten Museumsbau erkennen, haben die Architekten und der Künstler verdient.

Fotos:
Ulrich Schwarz, Berlin


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