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18.09.2015

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Contemporary Anything Is Usually Misunderstood

Ein Interview mit Phyllis Lambert


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Ohne sie hätten Mies van der Rohe und Philip Johnson das Seagram Building nicht gebaut. Phyllis Lambert kam zum Auftakt des DOKU.ARTS Filmfestivals nach Berlin – ein Gespräch über 60 Jahre Architekturgeschichte, die Zukunft des Bauens und warum Dogmen darin keine Rolle spielen.

Von Jeanette Kunsmann
Fotos: Anikka Bauer


Sie glauben nicht an Kompromisse. Wie überzeugt man sein Gegenüber?
Phyllis Lambert: Ich glaube wirklich fest an das, was ich tue. Ich bin überzeugt, dass es wahr wird, aber ich arbeite auch sehr hart daran. Glauben Sie mir, ich mache meine Hausaufgaben.

2014 haben Sie in Venedig den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk erhalten – nicht als Architektin, sondern als „Verfechterin anspruchsvoller Baukultur“, wie Rem Koolhaas sagte. Wie entsteht ein gutes Gebäude?
Wir wohnen alle in Gebäuden. Aber wenn die Akteure die Architektur nicht als eine kulturelle Kraft verstehen, entsteht auch keine Architektur, sondern Kommerz. Mies van der Rohe hat zum Beispiel eine außergewöhnliche Architektur geschaffen und dabei seine eigene Sprache entwickelt. Wenn man darin gut ist, spricht man Prosa, und wenn man sehr gut ist, kann man ein Dichter werden.

Sie sind selbst Architektin. Inwiefern hat Sie die Zusammenarbeit mit Mies van der Rohe beeinflusst?

Die Zusammenarbeit mit Mies gab mir einen neuen Blick auf die Dinge. Architektur ist nicht nur ein Gebäude an einem Ort. Für Mies waren die Zusammenhänge wichtig, er hat immer in Gebäude-Komplexen gedacht. Wie auch beim Seagram Building mit seinem angegliederten Platz und dem niedrigen Gebäude dahinter. Es entsteht ein Ort, an dem man Menschen und Leben sieht. Und dazu braucht es nicht viel: Weniger ist mehr. Das hat für mich tiefen Sinn und eine starke Logik. Ich bin sehr froh, dass ich von seiner Arbeit lernen konnte.

Welche Idee war Grundlage für den Entwurf des Saidye Bronfman Centre?
Fazluar Khan, ein großer Ingenieur und einer, der etwas von Hochhäusern und deren Tragwerken verstand, beriet mich in meinen Studien. Er wollte, dass ich mit vorgespanntem Beton experimentiere. Aber das wollte ich nicht. Ich wollte selbst erfahren, wie es ist mit Stahl zu arbeiten. Aber die wichtigste Idee war, dass es gleichzeitig ein Kunst-Zentrum, ein Theater und eine Galerie geben sollte. Ich dachte, das ist wichtig für die Leute, dass sie von innen nach außen eine Verbindung herstellen können, sich sehen. Ich wollte sie alle zusammenbringen. Das war der Ausgangspunkt.

Als Gründerin des Canadian Centre for Architecture (CCA) engagieren Sie sich auch für die Vermittlung von Architektur. Was denken Sie, warum die zeitgenössische Architektur so oft missverstanden wird?
Alles Zeitgenössische wird normalerweise missverstanden – wenn es gut ist! Wenn es über Grenzen geht. Das gilt für die Architektur, aber auch für Literatur und insbesondere für Musik. Ohne den richtigen Hintergrund und Erfahrung auf dem jeweiligen Gebiet fällt es vielleicht schwerer Dinge anzunehmen – wenn man solche Werke nicht als Weg zu neuen Gedanken sieht. Es dauert eine Zeit, bis die Menschen sich daran gewöhnt haben.

Sie konnten sich in ihrem Leben für viele verschiedene Architekten und Gebäude begeistern – Sie haben für Mies van der Rohe gekämpft, aber auch einen eher postmodernen Architekten für das CCA ausgesucht. Gleichzeitig begeistern Sie sich für die Dokumentation historischer Architektur und für den Erhalt des architektonischen Erbes – insbesondere in Montreal: Modernistin, Klassizistin und Konservatorin – gibt es da nicht einen Widerspruch?
Ich sehe da überhaupt keinen Widerspruch. Es ist alles Architektur. Wenn man ein neues Gebäude in einer Stadt baut, dann verhält es sich zu den Gebäuden, die bereits da sind. Manche von ihnen sind nicht so gut, andere schon. Unterschiedliche Stile treffen überall aufeinander. Also muss ein neues Gebäude in der Lage sein, eine Beziehung zu seinem Umfeld einzugehen. Man muss alles zusammen sehen. Es ist eine Arbeit in der Stadt und nicht in Isolation.

Es gibt also keinen Raum für Dogmen in der Architektur und Stadtplanung?
Ganz genau. Und in der Landschaftsplanung auch nicht!

Sie selbst haben als Architektin eigentlich nicht viel gebaut. Warum nicht? Hat es Sie nicht gereizt das CCA selber zu planen?
Mich hat es immer mehr interessiert, wie ich an andere Leute herankomme. Mies habe ich ja dazu gebracht Seagram zu planen, bevor ich Architektin war. Ich fand einfach, ich könnte so effektiver sein. Außerdem hatte ich, wie sie wissen, immer schon breit gefächerte Interessen. Ich habe mich sehr für Architekturgeschichte interessiert, was zu meiner Sammlung von Zeichnungen ab dem 16. Jahrhundert aufwärts geführt hat, genauso aber für Photographie. Meine Kamera war mein Notizbuch und dann habe ich begonnen Photographien zu sammeln. Zur Zeit laufen überall Programme, durch die ganze Städte zerstört werden, die die ganze Qualität urbaner Gewebe zerreißen. Die Menschen verstehen Architektur nicht und haben deshalb keinen Respekt vor ihr. Sie verstehen ihre Sprache nicht. Das sollten sie aber. Ich habe das CCA gegründet, weil ich es immer als öffentliche Aufgabe verstanden habe, den Menschen zu helfen die Stadt zu verstehen. Ich denke, damit bin ich eine größere Hilfe als durch eigene Gebäude.

Wie beeinflussen neue digitale Darstellungsmöglichkeiten aus ihrer künstlerischen Sicht die Wahrnehmung von Architektur?
Ich weiß nicht, ob sich dadurch die Wahrnehmung ändert – auf jeden Fall führt es zu einer größeren Präsenz von Architektur, besonders im Internet. Und sicherlich ändert es auch die Architektur selbst. Wir haben am CCA ein Programm, dass sich mit den Fragen der Digitalisierung und auch mit deren Anfängen beschäftigt. Es heißt „Archeology of the Digital“ und schaut vor allem zurück auf die Dinge, die heute, weil gewisse Programme nicht mehr funktionieren, gar nicht mehr zugänglich sind. Genauso schauen wir aber auch darauf, wie sich der Design- und Konstruktionsprozess mit der Digitalisierung verändert hat – denn das hat er gewiss.

Seit dem Bau des Seagram Buildings sind jetzt bald 60 Jahre vergangen. Wie hat sich die Architektur aus Ihrer Sicht nach der Moderne und Postmoderne weiterentwickelt?
Wissen Sie, Mies wollte den Menschen immer zeigen, was aus seiner Sicht das Richtige war. Und das tat er auch. Aber kaum jemand hat jemals wirklich die Ideen verstanden, die hinter seinen Entwürfen lagen. Und weil ihn niemand verstanden hat, wurde er oft einfach schlecht kopiert – ohne Sinn für Qualität und Proportion. Die Postmoderne war dann eine Reaktion darauf. Allerdings nicht mit demselben Humor, den beispielsweise eine andere Gegenbewegung, der Dadaismus, in den 20er Jahren hatte. Heute werden all diese Dinge, Bauen mit Glas, Bauen mit Beton, Bauen mit Stahl, auf eine sehr interessante Weise neu interpretiert und weiterentwickelt. Sehen Sie sich die Formen an, beispielsweise was Rem Koolhaas aus diesen Elementen macht.

Sie haben gesagt, Architektur braucht eine eigene Sprache, die, wenn sie avantgardistisch genug ist, von dem Menschen nicht sofort verstanden werden muss. Heute scheint Architektur aber vor allem von allen verstanden werden zu wollen. Meinen Sie, dass Architektur wieder eine eigene Sprache finden kann?

Das wird sie ganz bestimmt. Es gibt immer wieder Perioden großen Wandels – wie die Renaissance, die einen fundamentalen Wandel bedeutete. Oder auch die Industrialisierung. Sie haben jeweils eine eigene Sprache hervor gebracht. Heute ist es die Bürokratisierung, die einen großen Wandel auslöst. Viele Architekten verzweifeln daran, aber es gibt immer einen Weg etwas Schönes zu schaffen.

Ihr Lebensweg hat Sie aus einer eher konventionellen Lebensführung, einer patriarchischen Familie, in ein selbstbestimmtes Leben geführt. Was möchten sie Frauen mitteilen, die heute mit ihrer gesellschaftlichen Position hadern?
Ich hatte Glück. Ich komme zwar aus einer Familie, die in vielerlei Hinsicht sehr konventionell war. Aber ich hatte auch einen Vater, der als Selfmademan eine ungeheure Kraft besaß. Ich hatte ihn zum Vorbild, was auch ein großer Vorteil war. Wie auch meine Bildung, die ich nur genossen habe, weil wir es uns leisten konnten. Das waren alles große Privilegien. Gleichzeitig hat sich die Welt in den letzten fünf Jahrzehnten enorm verändert. Als ich Architektur studiert habe, in den späten 50er, frühen 60er Jahren, waren vielleicht zwei andere Frauen in meinem Fachbereich. Heute sind 40-60 Prozent der Architekturstudenten Frauen. Unsere Rolle hat sich gravierend verändert. Ich denke, heute ist es für Männer und Frauen das Gleiche: Man muss an etwas Größeres als einen selbst glauben, seine Zeit durchdringen und mit den wissenschaftlichen und moralischen Veränderungen leben. Mehr als früher liegt es heute an einem selbst.

Welche Anekdote über die Zusammenarbeit mit Mies van der Rohe haben Sie bisher für sich behalten?
Mies und mein Vater sind sich vom ersten Augenblick an immer mit größtem Respekt begegnet. Mies sprach nicht sehr gut Englisch und mein Vater konnte kein Deutsch, meine Mutter musste übersetzen, als wir uns zum Essen bei ihnen trafen. Mies hatte ein Modell gebaut, von der Plaza und den ersten fünf Stockwerken des Seagram Buildings, um deren Verhältnis zu untersuchen. Mein Vater war in einer Sache voreingenommen, er mochte keine Säulen. Er sah sich das Modell an und sagte: „Mies, hatte ich nicht gesagt, ich möchte keinen Säulen?“ Und Mies antwortete: „Ja, aber kommen Sie mal rüber und schauen Sie, wie wunderschön es von hier aussieht, Mr. Bronfman.“


Zum Thema:


Das DOKU.ARTS Festival zeigt den Film Citizen Lambert: Joan of Architecture am 22. September 2015 um 20 Uhr im Zeughauskino Berlin. Reservierung unter zeughauskino@dhm.de


www.doku-arts.de


 
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