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04.04.2016

Alejandro Aravena und der Pritzker-Preis

Ein Gespräch mit Kristin Feireiss


Heute wird Alejandro Aravena im UN-Hauptquartier in New York der Pritzker-Preis verliehen. Kristin Feireiss ist seit drei Jahren Jurymitglied des Komitees. Mit der Hatje Cantz-Verlegerin Cristina Steingräber sprach sie über die einstimmige Entscheidung der Jury, den 48-jährigen Chilenen und diesjährigen Direktor der Architektur-Biennale von Venedig zu küren.

Von Cristina Steingräber


Frau Feireiss, welche historische und aktuelle Bedeutung hat die Hyatt-Stiftung im Architekturdiskurs?

Die Hyatt-Foundation hat in gewisser Weise maßgeblich dazu beigetragen, dass Architektur weit über die Grenzen der Profession hinaus als kulturelle Aufgabe wahrgenommen und zelebriert wird. Sie hat quasi durch die Initiierung des Pritzker-Preises den »Architekturpreis« erfunden und weltweit dazu beigetragen, Architektur als Teil eines gesellschaftlichen Phänomens zu diskutieren. Kurz: Es geht mit dieser Auszeichnung darum, einer breiten Öffentlichkeit die Verantwortung des Architekten bei der Gestaltung unserer Umwelt zu verdeutlichen.

Wie verstehen Sie Ihre Rolle in der Jury des Pritzker-Preises?

Als ich 2012 gebeten wurde, Mitglied der Jury zu werden, fühlte ich mich nicht nur geehrt, Teil einer Gruppe von internationalen und interdisziplinären Experten und herausragenden Persönlichkeiten zu sein. Es war für mich auch eine Herausforderung, meine Überzeugung einzubringen, dass Architektur ein wesentlicher Bestandteil unseres kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Lebens ist. Gerade die Architektenprofession vereint unterschiedliche Ebenen von Wissen, Erfahrung, Verantwortung und Kooperationsmodellen, um mit inhaltlichen wie gestalterischen Lösungen auf die Bedürfnisse der Menschen und die Herausforderungen einer sich ständig verändernden Welt zu reagieren.

Konzentriert sich der Pritzker-Preis auf die Würdigung eines Lebenswerks oder ist er auch Wegweiser für die zeitgenössische Architektur?

Ganz sicher erfüllt der Pritzker-Preis beide Aspekte, die sich nicht zwangsläufig ausschließen. Jede Auszeichnung ist immer auch Ausdruck der jeweiligen Zeit und muss auf die jeweiligen weltweiten Entwicklungen mit ihren unterschiedlichen Prioritäten und Herausforderungen reagieren. Und ich denke, das hat der Pritzker-Preis in seiner über 30-jährigen Geschichte auch getan. Dennoch gibt es über alle Jahrzehnte hinweg unumstößliche Grundwerte für die Entscheidung der Jury, wie herausragende, die Architektur ihrer Zeit prägende Persönlichkeiten, die sich der Verantwortung ihres Berufsstandes gegenüber der Gesellschaft bewusst sind und dafür dem jeweiligen Kontext gemäß in einer konzeptionell wie gestalterisch unverwechselbaren Architektursprache zum Ausdruck bringen. Der diesjährige Pritzker-Laureat Alejandro Aravena ist dafür ein überzeugendes Beispiel und Vorbild.

Aravenas Projekt Elemental konzentriert sich – ganz kurz gefasst – auf partizipative Strategien im sozialen Wohnungsbau, um soziale Not unmittelbar zu lindern. Was hat die Jury veranlasst, in diesem Jahr einen Architekten mit sozial relevanten Aufgaben zu prämieren?

Auch frühere Pritzker-Preisträger haben sozial relevante Aufgaben erfüllt, wie etwa der japanische Architekt Shigeru Ban, der seit dem Erdbeben in Japan in den Neunzigerjahren bis zur Naturkatastrophe in Nepal vor wenigen Jahren kontinuierlich Notunterkünfte entwickelt hat, die nicht nur nachhaltig sind, sondern den Bewohnern auch ein menschenwürdiges Zuhause bieten. Das ist auch der Schwerpunkt im Schaffen Aravenas, der auf überzeugende Weise neue, wegweisende Modelle des sozialen Wohnungsbaus entwickelt hat. Es wäre aber zu eng gefasst, unsere Entscheidung nur auf diesen Aspekt seines architektonischen Œuvres zu beschränken. Für sein UC Innovation Centre auf dem Campus der Universidad Católica in Santiago de Chile wurde er erst kürzlich mit dem renommierten London Design of the Year Award ausgezeichnet.

Was waren die ausschlaggebenden Gründe für die Jury, Aravena einstimmig zu wählen?

Natürlich hat sich unsere Entscheidung aus vielen, das Gesamtbild dieser außergewöhnlichen Architektenpersönlichkeit prägenden Aspekten zusammengesetzt. Aravena verkörpert den sozial engagierten Architekten. Er ist ein herausragendes Beispiel für eine neue Generation von führenden Architekten mit einem ganzheitlichen Verständnis von der Vernetzung von Gesellschaft und Umwelt. Er hat bewiesen, dass es möglich ist, soziale Verantwortung und ökonomische Forderungen bei der Gestaltung des urbanen Lebensraumes im Sinne einer Verbesserung der Lebensqualität der Bewohner miteinander zu verbinden. Das Elemental-Team hat seit 2001 konsequent mit einfallsreichen, flexiblen  und kostengünstigen architektonischen Lösungen Tausende Wohneinheiten in seinem Heimatland Chile gebaut. Dabei sucht es in jeder Phase des komplexen Bauprozesses als Initiator wie Moderator den Dialog mit Anwohnern, Politikern, Anwälten, Kommunen und Bauherren. Zu Aravenas Leistungen gehört auch sein langfristiges Engagement, mit unkonventionellen Strategien im sozialen Wohnungsbau die globale Immobilienkrise anzugehen und für eine lebenswertere städtische Umwelt für alle zu kämpfen.

Für eine Auszeichnung des Lebenswerks ist Aravena jung. Warum war es dennoch der richtige Zeitpunkt, ihn zu ehren?
Das Alter hat bei der Entscheidung zu keiner Zeit eine Rolle gespielt, sondern vielmehr die Botschaft, die mit der Wahl des Preisträgers geschickt wird: Der Pritzker-Preisträger 2016 Alejandro Aravena setzt ein Zeichen gerade für die Profession der Architekten für mehr Eigeninitiative, Engagement und Innovation, um einen Beitrag zur Bewältigung der großen Herausforderung zu leisten, und dies in einer von Naturkatastrophen und Kriegen heimgesuchten Welt. Gerade Aravenas innovativer Ansatz bei seinen sozialen Wohnbauprojekten zeigt neue machbare, kostengünstige Modelle auf, die den herkömmlichen Rahmen erweitern, indem sie auf kollektive Lösungen setzen.

Was zeichnet Ihrer Ansicht nach die Projekte von Elemental gegenüber anderen sozialen Wohnbauprojekten aus?
Ich habe gerade versucht, dieses Phänomen zu beschreiben. Es geht dabei aber vor allem um Aravenas Haltung und Herangehensweise. Bei vielen seiner social-housing-Projekte hatte er zunächst keinen Auftraggeber: Er sieht eine Notsituation, untersucht die oft sehr unterschiedlichen Ursachen und entwickelt Strategien und Pläne, die er mit den Bewohnern bespricht und dann mit den zuständigen Behörden umzusetzen versucht. Aravena ist an erster Stelle Zuhörer und Mediator. Ich habe seine social-housing-Siedlung in einem Vorort von Chile besucht und mit den Bewohnern gesprochen. Er hat ihnen eine neue Zukunft ermöglicht, indem jedes Haus, so klein es auch ist, die räumliche Möglichkeit eröffnet, einen „Ein-Zimmer-Laden“ zu betreiben, um damit den Lebensunterhalt bestreiten zu können – vom Friseur bis zur Imbissbude oder einer kleinen Bäckerei. Es geht für Aravena immer auch um Hilfe zur Selbsthilfe.

Was wäre aus Ihrer Sicht der nächste konsequente Schritt in der Karriere Aravenas?
Alejandro ist ein kluger Mann. Er weiß, was er will und er tut nichts Unüberlegtes. Der nächste Schritt ist natürlich die Biennale in Venedig Ende Mai, die seine ganze Kreativität und Einsatz fordert. Vor allem aber wünsche ich ihm, dass seine Bekanntheit und die wohlverdiente Ehrung ihm bei der Umsetzung seiner sozialen Projekte helfen werden. Da er aber auch eine wunderbare Familie hat und ein lateinamerikanisches Temperament, bin ich sicher, dass die Lebensfreude nicht zu kurz kommt.


Zum Thema:

www.pritzkerprize.com

Das Interview ist bei Hatje Cantz erschienen: www.hatjecantz.de


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Kristin Feireiss, © The Pritzker Architecture Prize

Kristin Feireiss, © The Pritzker Architecture Prize


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