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01.01.2001

Arne Jacobsen

Bücher im Baunetz


Legenden werden nicht einfach nur gemacht. Ihr Mythos muss regelmäßig neu angefacht werden, denn das Gedächtnis wird in schnellebigeren Zeiten immer kürzer. Wie aber kann man die Menschen zur nachhaltigen Anbetung der Götter erziehen? Durch Publikationen. Und zwar solche, die sich in die Festplatte des Kleinhirns einbrennen. Der mächtige Umfang zahlreicher Neuerscheinungen scheint aus eine Zeit vor den neuen Medien zu stammen, als das Lesen noch geholfen hat und zur Edukation der Jugend gehörte. Diese Bücher sind zwar an sich nicht unbedingt autoritär, aber sie erinnern an eine früher gängige Lehrpraxis: die Verknüpfung von Ohrfeigen und Schulstoff, bei dem jeder Schmerz die Lösung einer Aufgabe bedeutet hatte. Und so ist es auch mit den Büchern. Der zerstörte Rucksack rührt von Le Corbusiers Gesamtwerk; die Narbe am Fuß kommt von den unglücklich herabgefallenen aktuellen Mies-Bänden; Louis Kahns Werkverzeichnis machte dem Bücherregal den Garaus und Rem Koolhaas’ neue Shopping-Guides brachte das Haus ins Wanken. Als ob all das nicht genug wäre, setzte die Danish Architectural Press jetzt noch einen drauf und veröffentlichte ein Buch, dass man besser nicht kauft, ohne vorher ein statisches Gutachten über sein Eigenheim eingeholt zu haben: 560 Seiten, 1.200 Bilder, 24x30cm-Format, etliche Kilos, Leinenumschlag - und alles über einen einzigen Architekten. Die Botschaft der Dänen ist damit angekommen: auch Arne Jacobsen (1902-71), der hier Gefeierte, gehört zu den Legenden der Baukunst, auch er wird sich durch seine Werke, also durch die Leiden der Leser, ins kollektive Gedenken einnisten.


Doch trotz des erschlagenden Formats, des erschöpfenden Textes, erweist sich Arne Jacobsen schnell als Kandidat höchstens der Mythentauglichkeitsstufe 2. So wie Alvar Aalto oder J.J.P. Oud ist auch Jacobsens Werk schwierig zu kategorisieren, sind die Orte, an denen die Häuser stehen, nur für Sprachexperten auszusprechen. Zu gering erscheint auch der Einfluss Jacobsens auf Baumeister außerhalb seiner Heimat. Höchstens die Stühle kennt jeder, die dreibeinige Ameise etwa oder die vierbeinige – und damit konventionellere – Weiterentwicklung des ursprünglich schwarz produzierten, heute in allen quietschigen Farben erhältlichen "Siebener"-Stuhls mit seiner schmetterlingsförmigen Lehne. Auf einem solchen Exemplar ließ sich Mitte der sechziger Jahre auch die berühmt-berüchtigte Christine Keeler fotografieren – nackt und mit gespreizten Beinen, weswegen das Sitzmöbel vor der Aufnahme umgedreht wurde. Doch nicht nur das, der grandiose Werkkatalog, Basis vielleicht doch noch für eine Jacobsen-Promotion zum Mythos einer höheren Stufe, weiß, dass es sich bei dem Exemplar wahrscheinlich um eine Kopie handelt. Bei allem urdänischen Liberalismus möchte man anscheinend die im Aufbau befindliche Mega-Legende Jacobsen nicht mit peinlichen Affären in Verbindung bringen, die immerhin das Ende für den britischen Politiker Profumo bedeutet hatten. Auch wenn dies am Jacobsen-Stuhl wohl kaum gelegen haben mag, schien hier die Abgrenzung wichtig.


Zehn Jahre haben die beiden Autoren an dem Werk gesessen, Arne Jacobsen hatte immerhin rund vierzig Jahre länger gebraucht, um all das hier Versammelte zu produzieren, das Projekt für Projekt besprochen und durch einleitende Essays in den Kontext jeweiliger stilistischer Entwicklungen gestellt wird. Offen gelegt wird dabei etwa das kaum bekannte, klassizistisch geprägte Frühwerk. Deutlich aber werden auch immer wieder die Transformationen der (Zwischenkriegs-)Moderne durch einen ausgesprochenen Hang zum Regionalismus. Sein vielleicht berühmtestes Gebäude in Dänemark, das Rathaus von Arhus (ab 1937), lässt sich auf diese Weise gar als Verbeugung vor der Typologie des Rathausbaus verstehen, die mit den Mitteln der Moderne interpretiert werden. Erst in seinen letzten zehn Jahren - während sich die Kritik am "International Style" längst formiert hatte - baute Jacobsen konsequent spätmodern und variiert Curtain walls, offen gelegte Konstruktionssysteme, Scheibenhausformen und Materialien wie Back- und Naturstein, Holz und Beton. Hier wird der Bezug zur Tradition der Umgebung sekundär, die Bauten genügen sich selbst und dem Personalstil eines zum Altmeister avancierten Architekten. Einen solchen Jacobsen aber von einer Jacobsen-Kopie zu unterscheiden, ist nur etwas für jene Experten, die sogar den Keeler-Stuhl als Fälschung identifizieren können. Einfachere Naturen werden dies eben nur bei Mies, Corbusier, Kahn und Koolhaas vermögen, den wahren, weil wieder erkennbaren Mythen-Meistern der Klasse 1. Mit dem kurzen Abnicken altbekannter Bildchen ist es daher beim vorliegenden Band nicht getan. So entsteht eine eigenartige Diskrepanz, zwischen dem, was das Format verspricht (Mythos-Mythos) und dem, was sich beim Lesen ergibt (neue Fragen der Wissenschaft und Architekturgeschichte).


Leider wird man aber diese Erkenntnisse bei einer Tour vor Ort kaum nachlesen können, denn Architektur und Publizistik haben sich zu sehr angeglichen und der vorliegende Band zu Jacobsens Gesamtwerk besitzt dank Umfang, Gewicht und Preis den Charakter einer Immobilie. Neben den bisher erhältlichen dänischen und englischen Ausgabe plant die Danish Architerctural Press übrigens noch eine deutsche Ausgabe, der im Frühjahr 2002 in den Handel kommen soll.
(Christian Welzbacher)



Carsten Thau, Kjeld Vindum
Text englisch. Gebunden, 560 Seiten, über 1.200 Abbildungen, DKK 598,-
Danish Architectural Press, Kopenhagen 2001
ISBN: 87 7407 230 7


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