Während die ‚Factory 798‘ im Pekinger Nordosten, auf halbem Weg zum Flughafen, für die Kulturbeflissenen Chinas heute zum selbst gewählten Streichelzoo geworden ist, hat sich das Areal auch als eine Art Museum der Industriekultur nach der Kulturrevolution etabliert. Die staatliche, elektronische Industrie der Mao-Ära erlebte hier ihre ruhmreichen Tage, nachdem eine Ost- Berliner Planergruppe Anfang der 50er-Jahre eine noch vom Bauhaus inspirierte Industrie-Ikone schuf. 798 war eine verbotene Stadt: hier wurden während der Isolation Chinas geheime Elektronikbauteile für das Militär produziert. Die Shedhallen mit Nordbelichtung, eine Sichtbetonkonstruktion mit Ziegelausfachung, sind ein spektakuläres Industriedenkmal, das nach der Öffnung Chinas das ideale Quartier für junge Künstler bot.

Seit 2002 wächst hier die neue Kunstszene Chinas heran. Ein internationales Publikum tummelt sich heute auf dem Gelände, auf dem sich sogar, Seite an Seite mit dem Kunstbetrieb, noch heute aktive Betriebswerkstätten befinden. Die Fotoreportage von Zhu Yan über die Entwicklung der ‚798‘ lebt in erster Linie von schönen Schwarz-Weiß-Fotos über die zwar noch nicht denkmalgeschützte, aber doch schon in Eigeninitiative umgenutzte Industriebrache.

Wartet Zhu Yan zunächst mit seltenen Fotos aus den letzten Tagen der Produktion auf, werden sodann in großer Vielfalt die Künstler in ihren Ateliers vorgestellt. Dort, wo sich einst die Politprominenz des kommunistischen Asiens des öfteren ein Stelldichein gab, um sich selbst zu beklatschen, etabliert das junge China heute unter wachsender Anteilnahme eine eigenständige Kunstszene. Die Pekinger Regierung erwog zwischenzeitlich, das Gelände zu schleifen. Die Künstler (u.a. Ai Weiwei) konnten dies bisher verhindern. Deshalb, aber auch wegen der künstlerischen Fotos ist der Band ein wertvolles Zeitdokument.
(Till Wöhler)

Zhu Yan
185 Seiten, 112 Abbildungen, 29,90 Euro
Timezone 8 Limited, Peking, 2004
ISBN: 9889726270