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01.01.2000

Clemens Holzmeister

Bücher im BauNetz


Die Mischung macht’s
Clemens Holzmeister gehört zu den eher seltsamen Figuren der Moderne. Schon bei seinem architektonischen Durchbruch, dem gotisierend-expressiven Krematorium auf dem Wiener Zentralfriedhof (1922), zeigt sich die ganze Eigenart seiner Baukunst: staubtrocken vorgetragenes Pathos, gepaart mit geschickt moduliertem Heimatschutz und unauffällig eingeflochtenen Modernismen. Die Feierhalle, am Ende eines arkadenumstandenen Campo santo platziert, erscheint als Mischung aus orientalischem Tempel, nietzscheanischer Totenburg und pseudomittelalterlichem Sakralbau. Holzmeisters distanziert-stimmungsvolle Visitenkarte sorgte für einen ordentlichen Skandal und traf mit seiner feinen Mischung den Nerv der Auftraggeber. Ein bisschen von allem, wohldosiert, nie übertrieben aufgesprühter Schlagobers. Holzmeister war ein Architekt der Beschränkung und damit auch, trotz der so unterschiedlichen Ergebnisse, ein Architekt im Sinne der von Adolf Loos gepredigten Wiener Ökonomie.


Der Berg ruft bis nach Berlin
Nähert man sich hingegen der Figur Holzmeister auf persönlicher Ebene, so kommt es zur Begegnung, die sogar im prall gefüllten architektonischen Kuriositätenkabinett einen Ehrenplatz verdient. In der kleinen Kirche St. Adalbert in der Berliner Linienstraße (1933), neben dem Umbau der Hedwigskirche zur Kathedrale die zweite Arbeit Holzmeisters für das junge Bistum Berlin (1930), steht ein unscheinbares Holzkreuz. Man könnte das Symbol für ein konventionelles Relikt der Neuen Sachlichkeit halten, zufällig hineingeraten in den in eine winzige Baulücke gezwängten, von geschickter Lichtführung und optimaler Raumausnutzung geprägten Sakralbau. Doch nicht die schlichte Form, vielmehr seine Attribuierung ist das Faszinierende. Denn das „Trenker-Kreuz“ stammt es aus einem der zahlreichen Bergfilme, die den gelernten Architekten und Schauspieler mit dem Vornamen Luis berühmt machten. Dies rechtfertigt zwar nicht zwangsläufig seinen Export in die mit Bergen wahrlich nicht reich bedachte Hauptstadt, verweist aber auf eine der vielen Fragen, die die vorliegende Monographie beantworten kann: Ja, der Südtiroler Holzmeister und der Südtiroler Trenker kannten sich, sie stiegen zusammen auf die Berge, wie das letzte Bild der Bandes deutlich dokumentiert, das beide nach einer Dolomitentour zeigt, sich erschöpft an ihren Pfeifen festhaltend. Doch es kommt noch besser. Beide führten in Bozen bis 1925 ein gemeinsames Büro!


Karriereziel: überall gleichzeitig sein
Für diesen wertvollen Hinweis allein hätte sich die Herausgabe der Begleitpublikation zur Innsbrucker Holzmeister-Retrospektive gelohnt. Doch selbstverständlich hat der Band noch mehr zu bieten, denn er tastet sich an eine Person, die auch an Lebenswillen dem ehemaligen Büropartner in nichts nachstand. 1886 geboren und 1983 gestorben, war Holzmeister über die Zeitenwenden hinweg ständig auf Selbstexegese bedacht, publizierte bis zum Schluss über sich, hielt die Forschung auf Distanz und muss daher eigentlich erst entdeckt werden. Im letzten Jahr kam ein Buch auf den Markt, das einen ganz anderen Holzmeister präsentiert, der so gar nicht zu Tirolerhut und vermeintlichem Waldschrat-Dasein passen will: den Regierungsarchitekten des Kemalismus, der einer neuen, westlichen Türkei das repräsentative Antlitz verlieh. Der Trierer Kunsthistoriker Bernd Nicolai untersuchte in seiner Habilitation Holzmeisters Tätigkeit für Atatürk und wusste einiges über einen Jetsetter der Moderne zu berichten, der in Wien, Düsseldorf und Ankara gleichzeitig lehrte, baute und lebte; einen Teil seiner Ergebnisse stellt Nicolai auch im vorliegenden Katalog vor.


Der Faschist im Gewand des Weltbürgers
Für seine Klientel schien Holzmeister zu jeder Schandtat bereit. Ob Nazis (Schlageter-Denkmal, Düsseldorf), Austrofaschisten (Dollfuß-Seipel-Kirche, Wien), Katholiken, Muslime oder den Südtiroler Tourismus, er bediente sie alle. Wilfried Posch widmet sich daher im zentralen Stück der vorliegenden Aufsatzsammlung dem politischen Menschen Holzmeister und damit einer wichtigen Fragen für die Architektur des 20. Jahrhunderts überhaupt. Doch: da haben wir’s mal wieder. So sehr ist einem der Held ans Herz gewachsen, dass man sich nicht traut, mit ihm ins Gericht zu gehen, Tacheles zu reden, ihn des Faschismus zu zeihen, einmal so richtig aufzuräumen, wohl aus Angst, es würde auch die Qualität seiner Arbeit trüben. Fraglos ist ein Denkmal wie das für Albert Leo Schlageter eine peinliche Angelegenheit. Doch das Interesse an dieser Architektur, die dem „Helden“gedenken in äußerst abstrakter, dem späteren Nazipomp so entgegengesetzter Form Ausdruck verlieh, wird dadurch nicht geschmälert. Die ganze Wahrheit hätte daher dem Südtiroler weit weniger geschadet, als ihn eher noch spannender gemacht. Und man hätte neben einer ersten Annäherung an das Werk auch erfahren, ob die Kunst der Beschränkung neben der Architektur selbst auch auf Holzmeisters Kundenakquise zutraf. (Christian Welzbacher)


Georg Rigele, Georg Loewit (Herausgeber)
Mit Beiträgen von Christian Fuhrmeister, Guido Holzmeister/Arno Ritter, Marena Marquet, Herbert Muck, Bernd Nicolai, Irmgard Plattner, Gustav Peichl, Wilfried Posch, Johannes Spalt.
Gebunden, 207 Seiten mit zahlreichen Abbildungen,
Haymon-Verlag, Innsbruck 2000
ISBN: 3-85218-329-4



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