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01.08.2000

Alvaro Siza. Das Gesamtwerk

Bücher im BauNetz


Bis vor rund zehn Jahren gehörte der Verrat an der Moderne zum guten Ton der Architekturkritik. Ende der achtziger Jahre aber ging dem neuen, Postmoderne genannten Internationalen Stil die Puste aus, man hatte sich satt gesehen an Zitaten, Versatzstücken und Surrogaten der Geschichte. Mit dem vom Kitsch und Nippes befreiten Blick trat jedoch nicht das wiederholt befürchtete Ende der Architektur auf den Plan. Vielmehr offenbarten sich im Zuge der Zweiten Moderne die Traditionslinien jenseits von Las Vegas, die vor allem in den kleinen Ländern Europas, der Schweiz, den Niederlanden und Portugal immer vital geblieben waren. Alvaro Siza Vieira, der nun mit einer opulenten Monographie von Kenneth Frampton gewürdigt wird, gehört zu den avanciertesten Protagonisten dieser Tradition der Moderne. Klare, einfache Formen, atmosphärische Räume und gekonnter Einsatz von Material wie Ziegel, Kacheln, Beton und Werkstein kennzeichnen sein mittlerweile über vierzig Jahre währendes Schaffen.


Fast klischeehaft wurde Siza immer wieder als „Architekt der kleinen Werke“, als „Entwerfer im Kaffeehaus“ und als „Poet“ bezeichnet - ein Bild von bauenden Bonvivant, an dem der Architekt nicht zuletzt auch selbst mitgebastelt hat. Besonders poetisch allerdings wird Siza dort, wo es sich nicht primär um das Entwerfen dreht, sondern um das zeichnerische Nachvollziehen von (Bau-)Landschaft und Menschen. Zahllose Skizzen hat Siza aufs Papier geworfen, oft Impressionen oder Karikaturen, deren Charaktere auch seine Entwurfszeichnungen bevölkern. In dem aus wenigen Strichen gefertigten Innenraum des Kulturzentrums von Madrid-La Defensa stehen staunende Männchen neben einem Reiterstandbild des heiligen Michael. Wild gezogene Pfeile unterstreichen die Fluchtlinien des Lesesaals in der Architekturfakultät der Universität Porto, mittendrin ein in sein Studium vertiefter Leser. Die fast zentnerschwere Werkschau, deren deutsche Version von der DVA betreut wurde, ist daher vom zeichnerischen Oeuvre Sizas durchsetzt. Die aus sicher geführten Umrisslinien gefügten, oft fast „cocteauesken“ Bilder sind zwischen die Abbildungen der Werke montiert, so dass die künstlerische Entwicklung des Portugiesen gleich in doppelter Weise nachvollziehbar wird.


Die gehobene Ausstattung des Bandes hat allerdings ihren Preis. Ein vierteltausend Mark muß bezahlen, wer sich an den wunderbaren Farb- und Schwarzweißaufnahmen satt sehen möchte, die das Schaffen Sizas lückenlos dokumentieren, den malerischen Kontext der Bauten einfangen und so mehr Fernweh evozieren als jeder Reisekatalog. Sizas Baukunst bettet sich trotz ihres neomodernen Gestus perfekt in die Umgebung seiner Heimat ein, ohne sich anzubiedern. Trotz der kantigen Rohheit etwa des in Sichtbeton ausgeführten Meeresschwimmbades in Leça da Palmeira fügen sich die Rampen und Plateaus in den sandigen Küstenstreifen ein, die Sonne, so meint man den Bildern zu entnehmen, wärmt den Boden angenehm auf, dass man noch nach dem Einbruch der Nacht unmittelbar am Meer sitzen kann. Ähnlich schwelgerisch sind auch Sizas noble Einfamilienhäuser inszeniert, die Museen oder seine weißen-kubischen Kirchen, die an Rudolf Schwarz` neusachliche Sakralbauten erinnern. Ein wenig kalte Füße bekommt man allerdings bei Sizas sozialem Wohnungsbau, der auch von den Fotografen recht stiefmütterlich behandelt wurde. Der Name „Bonjour tristesse“, jene stucklose Paraphrase des Mendelsohnschen Mosse-Hauses, die Siza für die IBA nach Berlin-Kreuzberg setzen durfte, schien hier das Motto vorzugeben. Da aber der Band sich hier nicht zu schade ist, die heruntergekommenen Ödnis ungeschönt zu präsentieren, wirken andererseits aber auch die lyrisch-bukolischen Portugal-Ansichten authentisch. Bleibt allein das einzige wirkliche Manko des Buches zu benennen: Neben Fotos, Grundrissen, einer spannenden Einführung und zahlreichen Selbstaussagen hätten kurze Projektbeschreibungen das Buch und damit den Zugang zu Alvaro Siza noch perfekter gemacht. (Christian Welzbacher)


Kenneth Frampton
Übersetzt aus dem Italienischen von Hildegard Rudolph.
Gebunden mit Schutzumschlag, 617 Seiten mit 1.000 Fotos und Plänen, davon 300 in Farbe,
Deutsche Verlags-Anstalt DVA, München 2000
ISBN: 3-421-03263-7


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