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01.01.1997

Berliner Architektur 1919 bis 1929. Zehn Jahre Architektur der Moderne

Bücher im BauNetz


Fast ausschließlich Bilder und die meisten Bauten längst alte Bekannte: Nach dem ersten Durchblättern macht sich schnell der Eindruck breit, daß das Buch nur wenig Neues bietet aus jener Blütezeit der Moderne in Berlin, die der Einband mit Mondrian-Muster fast ins lächerliche Klischee herabzieht. Aber da sich hinter dieser Hülle keine Neuerscheinung sondern der Reprint eines Werkes von 1928 verbirgt, besteht der Reiz des Buches gerade darin, sich weniger als Leser, sondern vielmehr als Detektiv angesprochen zu fühlen: Was mag dieses Buch einst für eine Rolle gespielt haben, wen sprach es an und wer setzte damals - und vor allem warum? - fast ausschließlich auf das Medium der Fotografie?

Aus dem Nachwort Michael Neumanns ist zu erfahren, daß sich die Weimarer Republik einen „Reichskunstwart” leistete, zu dessen Aufgaben es zählte, der Regierung in Architekturfragen zur Seite zu stehen. Edwin Redslob, von Hause aus Kunsthistoriker, bekleidete dieses Amt von 1920 bis zu seiner „Beurlaubung” 1933. Neumanns Text legt nahe, daß nur ein äußerst einflußloser Job ohne eigene Abteilung irgendwo in den Fluren des Innenministeriums so lange von derselben Person ausgeübt werden durfte. Immerhin aber ist das vorliegende Buch auf Initiative des „Reichskunstwarts” entstanden, der selbst das Vorwort beisteuerte und darin leise Kritik an seinem Arbeitgeber übte: „Noch ist Berlin - und hier liegt der Grund, der manchem Deutschen der Provinz seine Hauptstadt fremd bleiben ließ - zu sehr auf preußische, zuwenig auf deutsche Geschichte gestimmt. Beispiel dafür ist die Tatsache, daß die Reichsbehörden [...] selbst nicht gebaut haben, sondern meist untergekommen sind, wo alte Gebäude frei wurden.”

Kein Zweifel, es war Redslobs Anliegen, für die Werke der „modernen Architekten” die Werbetrommel zu rühren. Und zwar in allen Bereichen: Geschäftshäuser, Reklame, Kinos, Theater, Wohnhäuser, Verkehrs- und Versorgungsbauten sowie einige Kirchen versammelt der Bildteil auf 98 Seiten; darauffolgend einige ausgewählte Grundrisse und als besonderer Höhepunkt eine umfangreiche Dokumentation zu den vorgestellten Architekten: Lebensdaten, Werkverzeichnis der jeweiligen „Hauptarbeiten in Berlin 1918–28” und Literaturangaben sind darin aufgenommen.

Der Schwerpunkt des Buches aber liegt bei den Fotografien. Begleitet von lupenkleinen Bildunterschriften und ohne gliedernde Zwischenkapitel entrollt sich ein Architekturpanorama, das vollständig auf seine visuelle Kraft vertraut. Die Bildlegende hinten im Buch steuert allenfalls Assoziatives („Haltgemacht. Universum - die ganze Welt, Du sollst hinein ins Leben, zum Film, an die Kasse. - E. Mendelsohn”) oder kurios verknappte und damit kryptische Informationen bei: „Vorliebe moderner Architekten für Taufkapellen: Eingehen auf das Lithurgische”. Die ausschließliche Bild-Orientiertheit stellt den heutigen Betrachter vor die Herausforderung, jene detektivische Haltung zu entwickeln, die diesem Reprint angemessen ist: Nicht mehr die Bauten stehen dann im Mittelpunkt des Interesses sondern die Art und Weise, wie sie in den Abbildungen repräsentiert sind. Welches Bild der Moderne aus diesen modernen Bildern spricht – das muß aus den Fotos herausgelesen werden, um nachzuzeichnen, was der Bildband den Zeitgenossen wohl zu sagen hatte.

Im Gegensatz zu einem anderen Bildpropagandisten jener Zeit, Le Corbusier, gewinnen die Fotos ihre Wirkung nicht aus der Gegenüberstellung, wie sie beispielsweise von der berühmten Seite mit Tempel und Rennwagen aus „Vers une architecture” bekannt ist. In den Fotos steckt eine eigene, aus der Architektur abgeleitete Grammatik: Die Abbildung der Dachlandschaft eines Siemens-Gebäudes von Hans Hertlein zeigt täuschende Ähnlichkeit zu der berühmten (gezeichneten) Perspektive „Projekt Hochhausstadt” von Ludwig Hilberseimer – steinerne Kubenspiele, endlos wiederholt. Serialität, diesmal gepaart mit Dynamik, spricht selbst aus jenem Foto, das sich in dieses Bilderbuch der Avantgarde verirrt zu haben scheint, denn es zeigt eine Reihe klassizistisch dekorierter Villen und damit eigentlich Vertreter des im Vorwort gegeißelten „Epigonenstils”. Wie großzügig der Begriff „modern” auch immer ausgelegt ist, wenn um Gebäude geht: Die Bildsprache der damaligen Zeit ist es in jedem Fall. Spannender noch als die Sammlung moderner Bauten ist die des modernen Blicks.
(Oliver Elser)

Elisabeth M. Hajos, Leopold Zahn
Mit einem Vorwort von Edwin Redslob und einem Nachwort zur Neuauflage von Michael Neumann.
Gebunden, 160 Seiten, 176 Abbildungen
Gebr. Mann Verlag, Berlin 1928 / 1996 (Reprint)
ISBN: 3-7861-1867-1


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