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01.01.2000

Berlin_Stadt ohne Form

Bücher im BauNetz


Da liegt sie nun vor, die lang erwartete Kampfschrift, das ultimative Manifest gegen all die Traufhöhen, Planwerke und Natursteinfassaden. Endlich ist der tätige Widerstand gegen die offizielle und offiziöse Berliner Architektur- und Städtebaupolitik zwischen zwei Buchdeckeln nachzulesen. Anders als die so genannte „Berliner Debatte“ der Jahre 1993/94 können heute auch gebaute Beispiele gezeigt werden.
Doch um es vorweg zu nehmen: Hier kreißte der Berg und gebar eine Maus. Wenn das wirklich alles ist, was die Fraktion der jungen Wilden gegen die Stimmanns, Kollhoffs und Dudlers der Hauptstadt vorzubringen hat, dann ist ihre Position offenbar auch nicht von großen Gewicht. Dazu später mehr.

Der Architekt und Hochschulassistent Philipp Oswalt ist kein Unbekannter in der Berliner Architekturszene. Schon als Student brachte er sich, schnell sprechend und stets unüberhörbar, immer dann ein, wenn es galt, die "irgendwie andere" Architekturauffassung zu bewerben. Das reichte vielfach, um ihm die Gunst der Jungen und der Oppositionellen zu sichern. Als langjähriger Mitarbeiter der „arch+“ und mit Berufserfahrung bei Rem Koolhaas ist er prädestiniert, die seit „Delirious New York“ (1978) sattsam bekannte Position des OMA und ihres Gründers zu repetieren. Der Kerngedanke dabei: Die Stadt entsteht aus dem Chaos, ist Produkt des Chaos und soll gefälligst chaotisch bleiben. Jedes Streben nach Ordnung, sei es im Stadtgrundriss, sei es an der Fassade, ist unmodern, undemokratisch und - natürlich - irgendwie „totalitär“.

Hier soll keineswegs verkannt werden, dass aus dem OMA und den daraus hervorgegangenen Büros hinreißende Architektur kommt – auch in Berlin. Das Haus am Checkpoint Charlie von OMA ist trotz der späteren Verunstaltung der Erdgeschosszone immer noch eines der wichtigsten Gebäude aus IBA-Zeiten; das GSW-Haus von Sauerbruch / Hutton ist eines der schönsten innerstädtischen Großgebäude der neunziger Jahre in der Innenstadt, und die niederländische Botschaft, wiederum von OMA, verspricht zu einem der raffiniertesten Raumkunstwerke der Berliner Gegenwartsarchitektur zu werden. Soweit, so gut. Aber bei aller Sympathie für viele gebaute Ergebnisse dieser Schule muss man ja nicht jede städtebauliche Torheit, die aus dieser Ecke kommt, schon allein deshalb bejubeln, weil sie die verhassten Etablierten so schön ärgert.

In einem durchaus lesenswerten Aufsatzreigen versucht Oswalt, die Berliner Stadt- und Gestaltwerdungsgeschichte zu umkreisen. Letztlich kommt nicht viel mehr dabei heraus als eine Paraphrase der alten Scheffler-These von 1910 über die „Tragik eines Schicksals, das Berlin dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein“. Bei Oswalt heißt das „automatischer Urbanismus“. Seine historische Analyse leidet jedoch an der Überbetonung des Zufälligen, Temporären, Leeren, Chaotischen und Destruktiven. Diese Gestaltungsprinzipien besetzt er positiv und übersieht dabei absichtlich (denn er weiß es als Altbaubewohner besser), wie konstitutiv die geschlossenen Stadträume des Hobrecht-Plans für das Berliner Stadtbild sind - und zwar trotz der Zerstörungen anhaltend bis zum heutigen Tage.

Dann folgt übergangslos der willkürlich und zufällig wirkende Projektteil, die eigentliche Enttäuschung des Buches. Wenn man mal temporäre Installationen, Landschaftsarchitekturen, Innenraumausgestaltungen und Kleinstbauten herausstreicht, bleiben größtenteils nicht realisierte Projekte übrig. Darunter sind altbekannte Berühmtheiten wie Libeskinds Alexanderplatz oder MVRDVs Wettbewerbsbeitrag für die Bornholmer Straße genauso wie längst vergessene Abstrusitäten in der Peripherie. Im Vorwort wird dargelegt, dass man Bekanntes wie das Jüdische Museum oder das GSW-Haus hier nicht noch einmal aufnehmen wollte; Léon / Wohlhages Zitrone am Halensee, ein vergleichbarer Bau, taucht hier aber dennoch auf. Auch wenn sich Rudolf Stegers in kurzen textlichen Erläuterungen bemüht, diese Projekte unaufgeregt und sachlich vorzustellen, bleibt am Ende die Frage: Das soll alles gewesen sein? Für ein Pamphlet, das überzeugen will, ist diese Beispielsammlung zu dünn. Wir warten also weiter auf das ultimative Manifest der Opposition...
(Benedikt Hotze)


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