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01.01.2001

Berlin und seine Bauten: Reihenhäuser

Bücher im BauNetz


Das Reihenhaus - das ist der Haustyp, der sich zielsicher zwischen alle Stühle setzt: Für die "Neuen Urbaniten", wie der Berliner Bausenat gut verdienende Leute getauft hat, die bewusst in der dichtbebauten Innenstadt leben wollen, ist das Reihenhaus der Inbegriff der Spießigkeit - da fehlt dann nur noch die Gartenzwerg-Sammlung im Vorgarten, gleich neben dem Stellplatz mit beranktem Carport. Für den überzeugten Häuslebauer dagegen, der das Glück tief im Grünen sucht und um seinen Immobilienbesitz gefälligst herumgehen können möchte, hat das Reihenhaus den Ruf von "gewollt und nicht gekonnt": Durch die Flächen, Kosten und Energie sparende Bauweise Seit an Seit zu seinem Nachbarn hat das Reihenhaus den Ruf, das Eigenheim für Arme zu sein.

Bisher in der Literatur weitgehend vernachlässigt oder unter "Siedlungsbau" subsummiert, hatte das Reihenhaus bislang wenig Möglichkeiten zu zeigen, was in ihm steckt. Das ist jetzt durch den vorliegenden Band des auf Jahrzehnte angelegten Standardwerks "Berlin und seine Bauten" anders geworden. Er widmet sich, gleichsam mit dem Vergrößerungsglas ältere Ausgaben noch einmal durchleuchtend, dem "typisierten, gedoppelten oder in einer Reihe mehrfach wiederholten Wohnbau" (so die genaue Definition des Buchgegenstands).

Der Typus des Reihenhauses wurde hierzulande vor dem ersten Weltkrieg entwickelt; in Berlin verbunden mit Namen wie Salvisberg, Behrens, Tessenow oder auch bereits Bruno Taut. Zunächst versuchte man noch, die serielle Reihung der Einheiten zu kaschieren, indem man mit architektonischen Würde- und Schmuckformeln größere Hauseinheiten vortäuschte. Doch die Grundrisstypen waren 1918 - zumindest für den Großsiedlungsbau - weitgehend kanonisiert; ob in der Siedlung Neu-Tempelhof (ab 1920), in Tauts berühmten Großsiedlungen Hufeisen in Britz und Onkel Toms Hütte in Zehlendorf (ab 1925 bzw. 1926) oder gar in der verstörend putzigen Zehlendorfer SS-Kameradschaftssiedlung (ab 1938): Die Grundrisse der Reihenhäuser für den eher kleinen Geldbeutel unterschieden sich kaum, ob sie von Fritz Bräuning oder Hans Gerlach stammten, von Taut, Häring, Salvisberg, oder einfach von der Bauabteilung der Gehag. Unterschiede gab es allein bei der äußeren Gestalt: Die traditionelleren Siedlungen haben Satteldächer, die moderneren flache Pultdächer (mit erheblichem Raumgewinn für den gleichen bautechnischen Aufwand).

Reihen- und Doppelhäuser aus der Zwischenkriegszeit sind in ihren Abmessungen, aber auch in den Grundstücksflächen meistens minimiert und daher damals wie heute bezahlbar. Der Erwerb eines gebrauchten, womöglich etwas renovierungsbedürftigen 5-Meter-Typen in Britz, Tempelhof oder Zehlendorf ist heute für junge Familien eine urbane Alternative zum Neubau im Umland. Allein dies im Sinne eines "Grundrissatlas" anschaulich zu verdeutlichen, ist ein großes Verdienst des Buches, das auch über das Berliner Publikum hinausweist. Dass dabei auch großbürgerliche Raumdispositionen (zum Beispiel die avantgardistisch gestalteten Bauten der Gebrüder Luckhardt an der Schorlemerallee) oder ideologische Skurrilitäten (wie die konservativen Häuser Am Fischtal) gezeigt werden, rundet den Band angenehm ab.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Typus des Reihenhauses zwar weiterhin in großer Anzahl gebaut, aber stilbildend waren diese Häuser vielfach nicht mehr. Seltsam leblos bleibt in dem Buch auch die jüngere und jüngste Vergangenheit des Reihenhauses; es springt von der Gropiusstadt über einige - heute belanglos wirkende - postmoderne Beispiele gleich in die Gegenwart. Hier werden zu Recht die Léon/Wohlhage-Bauten in Biesdorf-Süd gezeigt; warum die zeitgleich errichteten Reihenhäuser auf den McNair-Barracks in Lichterfelde (Arch.: Anatol du Fresne, ehemals Atelier 5) verschwiegen werden, ist unverständlich: Handelt es sich dabei mit ihren klaren Rückgriffen auf die klassische Moderne doch um die besten Reihenhäuser in Berlin nach der Wende.
Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass das Reihenhaus keineswegs ein halbgarer Zwitter sein muss, sondern womöglich die Vorteile des urbanen Wohnens mit denen des vorstädtischen Wohnens im Grünen vereint - aber die Nachteile der jeweiligen Form vermeidet. Wer hätte das dem guten alten Reihenhaus noch zugetraut!
(Benedikt Hotze)

Hg: Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin
283 Seiten, 469 s/w-Abbildungen, 65 Euro
Ernst & Sohn, Berlin, 2001
ISBN: 3-433-01017-x


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