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02.04.2014

Auf alten Fundamenten

Bücher im BauNetz


Rekonstruktion, Erneuerung, Weiterbauen, Ergänzung – das sind einige der Möglichkeiten, die ein Architekt hat, wenn er auf etwas Vorhandenes (oder auch: eben nicht mehr Vorhandenes) trifft. Die Hamburger Großarchitekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp) sind in der öffentlichen Wahrnehmung sicher kein Denkmalpflegebüro oder eines, das man sofort mit „Alt-Neu“-Projekten in Verbindung bringt wie etwa den Lübecker Architekten Helmut Riemann oder den verstorbenen Diözesanbaumeister Karljosef Schattner. Doch das enorme Œuvre von gmp birgt eine unerwartet lange Reihe von Bauprojekten, bei denen der Bestand einbezogen wurde – vom bekannten Glasdach über dem Hof des Museums für Hamburgische Geschichte (1989) bis hin zum Nationalmuseum Peking (2006-10).

Wer die Arbeit von Volkwin Marg und Meinhard von Gerkan länger verfolgt, weiß, dass es oftmals die „Marg-Projekte“ sind, die sich mit Bestandsbauten auseinandersetzen – vom Olympiastadion Berlin bis zum Alfred-Fischer-Haus in Gelsenkirchen. So firmiert Marg auch als Herausgeber dieses Buches, das rund dreißig „Bauten im historischen Kontext“ darstellt. Die eigentliche Arbeit hat allerdings der Bauhistoriker Gert Kähler als Autor geleistet.

Von Gerkan und Marg pflegen beide recht robust-pragmatische Auffassungen zu den einschlägigen architekturtheoretischen Fragen rund um Rekonstruktion und Denkmalsubstanz. So wurde das Alfred-Fischer-Haus 2010-12 komplett entkernt – „ein neues Gebäude wird in die alte Fassade eingebaut“ heißt es im Buch richtigerweise. Ein kluger und souveräner Schachzug, den Historiker Kähler für dieses Buch- und Ausstellungsprojekt zu engagieren, der den Pragmatismus von gmp erläutert, rechtfertigt oder bisweilen auch zwischen den Zeilen kritisiert.

In der Karriere von gmp hat es immer wieder Projekte gegeben, die einen nicht gerade substanzschonenden Umgang mit dem Bestand zeigten. Das expressionistische Kühlhaus Oevelgönne wurde kurzerhand komplett abgerissen und 1991-93 als „Neubau im Umriss des Alten“, nun ja, rekonstruiert – inklusive einer dort nie vorhandenen, weithin sichtbaren Kuppel. Das bizarrste Projekt in dieser Reihe ist die Ergänzung des Hamburger Broschek-Hauses: Hier hatte Fritz Höger 1925/26 an einer Straßenecke zwei Gebäudeflügel gebaut, doch das eigentliche Eckgrundstück hatte er nicht wie geplant mit einem Alles verbindenden Turmhaus bebauen dürfen. Nach dem Krieg lag das Eckgrundstück lange Zeit brach, bis gmp den Höger-Torso 1981 vollendeten: mit einem Neubau, der Högers Stil und Materialität perfekt nachempfindet, städtebaulich aber den seinerzeit von Fritz Schumacher favorisierten Treppengiebel statt eines Turms realisiert: Sieht nach Höger aus, ist aber gmp. Kähler kleidet seinen Kommentar dazu in eine Frage: „Zitat, Fälschung, Fortschreibung?“ Die Antwort bleibt dem Leser überlassen.

Letztlich lässt sich diese Fallsammlung als Lehrbuch lesen, dem man dann grundlegende Erkenntnisse entnimmt. So räsonniert Kähler anlässlich des für die Fußball-WM 2006 umgebauten Olympiastadions der Nazis, dass „eine Geschichtslöschung durch Abriss, die politisch motivierte Zerstörung von Bauten und Städten“ noch nie funktioniert habe. Vielmehr: „Nur durch Erinnerung kann Geschichte bewahrt werden, auch eine belastete. Und der Erinnerung hilft ein Ort, ein Gebautes. Die Frage des Umgangs damit stellt sich auch für Architekten ständig neu.“ So ist es. (Benedikt Hotze)

Auf alten Fundamenten.
Bauen im historischen Kontext.
Architekten von Gerkan, Marg und Partner

Volkwin Marg (Hg.), Gert Kähler
Dölling und Galitz Verlag, München/Hamburg, 2014
304 Seiten, 400 historische und Farbabbildungen
Leinenband mit Schutzumschlag und Fadenheftung
49,90 Euro

www.dugverlag.de


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