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12.05.2016

Die Zukunft kommt nicht aus der Vergangenheit

20 Minuten mit Daniel Libeskind


Frisch aus New York nach Frankfurt eingeflogen, stellt er am Montag das Konzertprojekt One Day in Life an der Alten Oper vor – wie immer hat er sein Lächeln im Gepäck. Wo Daniel Libeskind heute seinen 70. Geburtstag feiert, wissen wir leider nicht – was er über Architektur, den Menschen und Deutschland denkt, hat er uns verraten.

Von Jeanette Kunsmann und Stephan Burkoff

Man sagt: „Über Musik zu reden, ist wie zu Architektur zu tanzen“. Empfinden Sie sich als Komponist?
Jeder Architekt ist auch ein Komponist. Er muss Pläne, Gebäude und ganze Städte komponieren. Die Beziehung zwischen Musik und Architektur ist eine sehr organische, ganz natürlich und auch historisch: Architektur und Musik waren schon immer verbunden. Manchmal als Gegner, viel öfter aber als Partner.

Wie kamen Sie auf die Idee für das Konzertprojekt One Day In Life in Frankfurt?
Sie war sofort da! Als Stephan Pauly, der Direktor der Alten Oper, mit der Frage auf mich zukam, habe ich ohne nachzudenken gesagt: Ich möchte ein 24-stündiges Konzert – an Orten, wo sonst keine Musik aufgeführt wird.

Welches Bild haben Sie im Kopf, wenn Sie an Musik denken?
Musik ist die einzige unsichtbare Kunst. Aber auch wenn Musik unsichtbar bleibt, ist ihr Klang positiv. Mit der Architektur ist es dasselbe, nur anders herum.

Und an welche Art von Raum denken Sie, wenn Sie sich ein Konzert vorstellen?

Jeder, der schon mal auf einem Konzert war, kennt das Prozedere und die Atmosphäre klassischer Konzertbesuche. Meine Idee bei One Day In Life war, eine andere Topographie der Stadt zu schaffen und eine andere Haltung zu finden: Musik ist für Menschen gemacht. Mein Wunsch war nicht nur eine besondere Performance, sondern auch Partizipation, das Erlebnis unerwarteter Orte und der Kontakt zu anderen Menschen. Manche waren vielleicht schon in der Alten Oper und erleben jetzt ein Konzert an einem Ort, an dem sie noch nie waren. Andere waren vielleicht noch nie in einem Konzert und erleben die Alte Oper zum ersten Mal.

Wenn Sie sich Ihre eigene Architektur als Musik vorstellten, wie hört sie sich an?
Wissen Sie, seit meinem ersten Gebäude, dem Jüdischen Museum in Berlin, beginne ich meine Projekte nicht mit einem Bild oder einer Skizze, sondern stets mit dem, was man hört. Es geht um die Akustik der Leere. Klang war mir schon immer wichtig: der Klang einer Stadt, die Akustik eines Raumes, etwas, was man nicht fotografieren kann, das aber der Schlüssel zu den Emotionen ist, die ein Gebäude erzeugt – und auch zu dessen Funktionalität. Meine Gebäude klingen alle unterschiedlich, sind aber harmonisch mit ihrem Umfeld.

Welche Gefühle soll Ihre Architektur erzeugen?

Keine Ahnung! (grinst) Architektur sollte Freude ins Leben bringen – was bedeutet, Dinge zusammen zu bringen, die vielleicht nicht immer sichtbar sind. Nur in der Verbindung vieler Aspekte der Realität liegt die Chance, etwas Gutes zu schaffen.

Welches Ihrer Gebäude steht am ehesten für das, was Sie wollen?
Das ist schwierig zu beantworten. Anders als Literatur, Malerei oder sogar Film ist Architektur eine soziale Kunst. Es gibt ein Budget, eine soziale Komponente, die Behörden... Architektur ist eine komische Kunst, eine bürgerliche Kunst, eine Kunst, die entscheidende Elemente einer echten Kunst ausschließt, aber so viele Elemente anderer Künste in sich verbindet. Ein Gebäude entsteht nicht im stillen Kämmerlein: Das macht die Architektur so interessant. Deshalb wurde sie früher die Mutter aller Künste genannt.

Ist der Begriff der „Mutter aller Künste“ nicht eher so zu verstehen, dass der Architekt ein Universalgelehrter sein soll?

Sicher. Aber im traditionellen Sinne ist Architektur die Mutter aller Künste, weil sie alles beinhaltet: Sprache, Musik, Geometrie, Astronomie. Es geht um die Sterne, um Orientierung, es geht um Poesie. In früheren Zeiten war Architektur die Matrix, die Quelle der menschlichen Orientierung. Wir leben heute nicht zufällig in dieser Welt. Wir verdanken sie der Entdeckung der Architektur.

Um auf die vorige Frage zurückzukommen: Welches Ihrer Gebäude steht am ehesten für Daniel Libeskind?
Alle meine Gebäude sind Kompromisse, natürlich. Aber ich habe noch nie die grundlegende Idee aufgegeben, deshalb ist die Frage schwierig zu beantworten. Ground Zero zum Beispiel: ein extrem komplexes Projekt. Trotzdem ist es genau das geworden, was ich mir vorgestellt habe. Ich kann nicht wirklich sagen, welches Projekt mir am nächsten ist. Sie alle haben einen Ursprung in mir und bei allen gibt es Umstände, die ich nicht kontrollieren konnte. Das Spannende bei Architektur ist doch gerade, dass man nicht alles kontrollieren kann! Und ganz grundsätzlich geht es natürlich immer um eine intensive Reflexion der Bedürfnisse unserer Auftraggeber.

In Berlin entsteht mit dem Sapphire gerade ein weiteres Investorenprojekt. Sie hatten den Wunsch, dort auch sozialen Wohnungsbau zu integrieren. Werden Sie diese Idee weiterverfolgen?
Natürlich! Wir suchen gerade in Berlin nach dem richtigen Ort für ein Projekt mit bezahlbarem Wohnraum. Und ich bin überzeugt davon, dass „bezahlbar“ nicht zweitklassig heißen muss. Es muss auch möglich sein, mit kleinem Einsatz etwas Schönes, Lebenswertes zu schaffen. Ich halte es für unsere Großstädte für immanent wichtig, dass es kein Privileg der Reichen wird, in ihnen zu leben.

Welche Rolle spielt der rechte Winkel in der Welt von Daniel Libeskind?

Er ist nur einer von 360 möglichen Winkeln. (lächelt)

Ihre Architektur hat etwas von einer totalen Neuinterpretation gängiger Muster. Woher kommen diese Formen?


Vermutlich bin ich selbst am wenigsten in der Lage, diese Frage zu beantworten. (lacht). Man muss an etwas glauben, das Gefühl haben, dass etwas richtig ist, wenn man ein Grundstück ansieht. Es braucht eine echte Verbindung, keine abstrakten Überlegungen. Architektur muss eine Beziehung zu dem Ort haben, an dem sie entsteht. Das ist das Wichtigste.

Aber ästhetisch ähneln sich Ihre Gebäude sehr.

Wahrscheinlich! Denn ich habe sie ja gemacht. (lacht)

Was bedeuten neue „Instrumente“, sprich Materialien und Technologien, für Sie?

Ohne moderne Technologien und Materialien sind meine Gebäude nicht denkbar – ohne sie wäre es nicht möglich, pünktlich und im Kostenrahmen fertig zu werden. Auch Dekton, ein Material, das ich gut kenne, das nachhaltig ist und unzerstörbar, gehört dazu. Aber letztlich basiert Architektur immer auf einer Idee. Kein Computer, keine Industrie kann diese Aufgabe übernehmen.

Was haben Sie während Ihrer Karriere über den Menschen gelernt?
Die Menschen auf der ganzen Welt sind alle gleich. Sie alle haben eine Seele, ein Herz, ein Wesen. Verschiedene Orte und kulturelle Einflüsse lassen sie unterschiedlich wirken. Aber letztlich sind wir alle gleich – egal, wo ich baue: Israel, Asien, Europa, Südamerika, Nordamerika. Die Leute suchen etwas, haben Wünsche, Träume, Vorstellungen, wissen aber vielleicht nicht immer genau, was sie suchen. Oftmals ist es schwierig, das in Worte zu fassen. Mit meinen Gebäuden hoffe ich, manchmal Antworten geben zu können.

Und was denken Sie über den Architekten?

Unglücklicherweise leben wir in einer Zeit, in der alles ein Wettbewerb ist – Ideen funktionieren aber nicht wirklich als Wettbewerb. Für Architekten ist es nicht leicht: Einerseits leben sie heute in der Ära des Konkurrenzkampfs, andererseits sollen und wollen sie etwas schaffen, das eine Präsenz besitzt – etwas, woran sie wirklich glauben können. Es ist eine toughe Zunft.

Aktuell arbeiten Sie an einem Museum in Erbil, im Nordirak, einem Kunstmuseum in Vilnius, einem Hochhaus in Rom und an einem pyramidenförmigen Hochhaus in Jerusalem – wie politisch ist Ihre Architektur?
Jede Architektur ist politisch. Polis heißt: die Stadt. Und Architekten formen die Stadt. Ganz pragmatisch: Zunächst braucht man immer eine Baugenehmigung. Um ein Buch zu veröffentlichen, braucht man das nicht, auch nicht, wenn man ein Lied singen will. Man singt einfach. Aber sogar für ein sehr kleines Gebäude benötigt man heute eine Genehmigung – auch das stellt von Anfang an einen politischen Prozess dar. Insofern ist Architektur eine tief politische Kunst – ist sie immer gewesen.

Und welchen konkreten Einfluss haben Sie als Architekt in der Realität?
Ich habe Architektur nie als soziales Werkzeug betrachtet. Dass Architektur den Menschen und sein Verhalten ändern kann oder soll, habe ich nie geglaubt. Architektur ist für mich eine Kunst. Sie ist frei. Es geht um Freiheit, Offenheit, es geht um die direkte Beziehung zum Menschen.

Sie haben mittlerweile in verschiedenen deutschen Städten wie Berlin, Dresden, Düsseldorf und Lüneburg gebaut. Welche Bedeutung hat Deutschland für Sie?
Wenn wir ein neues Projekt für Deutschland in unserem New Yorker Büro besprechen, wollen alle daran arbeiten. Alle wollen nach Deutschland! Das Land ist sehr hoch entwickelt. Nicht bloß technologisch, sondern vor allem kulturell. Deutschland ist für uns ein wichtiges Land. Ich bin sehr dankbar für alle Erfahrungen, die ich hier machen konnte.

Diesen Donnerstag werden Sie 70 Jahre alt. Wie viel Zukunft steckt in Daniel Libeskind?

Die Zukunft kommt nicht aus der Vergangenheit, sie kommt aus der Zukunft.


Zum Thema:

Es sei einmalig und wird es so nicht wieder geben, meint Daniel Libeskind. Sein Projekt One Day In Life im Auftrag der Alten Oper Frankfurt findet am 21. und 22. Mai mit 75 Konzerten an 18 verschiedenen Orten in Frankfurt statt. Mehr Infos und Tickets unter onedayinlife.org


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Daniel Libeskind am Montag zu Besuch in der Alten Oper Frankfurt, Foto: AOF Wonge Bergmann

Daniel Libeskind am Montag zu Besuch in der Alten Oper Frankfurt, Foto: AOF Wonge Bergmann

 „Musik ist die einzige unsichtbare Kunst. Aber auch wenn Musik unsichtbar bleibt, ist ihr Klang positiv. Mit der Architektur ist es dasselbe, nur anders herum.“ Foto: AOF Wonge Bergmann

„Musik ist die einzige unsichtbare Kunst. Aber auch wenn Musik unsichtbar bleibt, ist ihr Klang positiv. Mit der Architektur ist es dasselbe, nur anders herum.“ Foto: AOF Wonge Bergmann

„Jeder Architekt ist auch ein Komponist.“ Foto: AOF Wonge Bergmann

„Jeder Architekt ist auch ein Komponist.“ Foto: AOF Wonge Bergmann

Libeskind erste Skizze zu One Day in Life zeigt eine Karte von Frankfurt. Bis Mitte Juni kann man über die Dekton-Installation vor der Alten Oper spazieren, Foto: AOF Wonge Bergmann

Libeskind erste Skizze zu One Day in Life zeigt eine Karte von Frankfurt. Bis Mitte Juni kann man über die Dekton-Installation vor der Alten Oper spazieren, Foto: AOF Wonge Bergmann

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