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Pankow

Der 10. Botschaftsspaziergang
Botschaftsarchitektur als Typenbau von Pankow I bis Pankow III


In diesem 10. Spaziergang können Sie sich abseits der wohlbekannten Botschaftsbauten ein neues Gebiet erobern, das nicht weniger zu den bemerkenswerten Beispielen der ausländischen Repräsentanzen gehört als die Hiroshimastraße oder die vielen neuen Botschaften in Mitte. Der Weg führt Sie nach Pankow, dem traditionellen Botschaftsviertel der Hauptstadt der DDR. Vorher wäre es übrigens sinnvoll, alle eventuell vorhandenen Vorurteile gegenüber sozialistischen Typenbauten einfach zu vergessen.

Der Typ "Pankow III" wurde zwischen 1971 und 73 genau 25 mal an und um die Stavanger Straße herum gebaut. Unterschiedliche Länder mit ihren Repräsentanzen in identische Häuser zu stecken, scheint aus heutiger Sicht undenkbar. Inzwischen weist Berlin eine Vielzahl von Botschaften mit arabischen Sternchenornamenten, indischen Wasserfällen oder in russischem Zuckerbäckerdesign auf, und niemand möchte diese mehr missen.
Aber Ende der 60er Jahre besaß die Vorstellung, für alle Länder der Welt ein sozialistisch optimiertes Gebäude zu erbauen, einen außerordentlichen Reiz.
Als Anfang der 70er Jahre die DDR als unabhängiger Staat auch international Anerkennung fand, wurden in kürzester Zeit viele der normierten Botschaftsbauten benötigt. Um den Heinrich-Mann-Platz herum waren schon sechs "Pankow I"-Varianten mit Erfolg realisiert worden, nun entstanden - mit ein wenig Abstand - die 25 Botschaften zwischen Esplanade und Ibsenstraße.

Das architektonische Konzept der Botschaftstypenbauten beruhte auf einem Entwurf von Eckart Schmidt, der als verantwortlicher Architekt beim Berliner Wohnungsbaukombinat das erste Gebäude für Jugoslawien entwarf: Zwei schmale Baukörper von jeweils 4,50 Meter Spannweite wurden nebeneinander gestellt und durch eine so genannte „Fuge“ miteinander verbunden. Diese Fuge beinhaltete natürlich die Erschließung und zeichnete sich nach außen durch Balkone und ein anderes Fassadenmaterial ab. Insgesamt maß der Würfelbau damit 12 x12 Meter. Die Anordnung der Räume hatte wenig mit der vertikalen Aufteilung in zwei Volumen zu tun, sondern entsprach einer möglichst hohen Funktionalität. Innenräumlich entstand dadurch eine horizontale Staffelung der Nutzungen in Verbindung mit einem großzügigen zentralen Erschließungsbereich. Im Laufe der 70er Jahre modifizierten und vereinfachten die Architekten des Kombinats dieses Grundsystem, je nach finanzieller Ausgangslage oder entsprechend der jeweiligen politischen Vorgaben.
Pankow III, zum Beispiel, zeichnet sich dadurch aus, dass die beiden Gebäudehälften rechts und links zu unterschiedlichen Seiten verlängert wurden. So konnte die gewünschte Vergrößerung der Nutzflächen erzielt werden, ohne das zugrunde liegende Prinzip zu zerstören.
Auch verzichteten die Architekten schon bald auf die seitlichen Balkone und die Klinkerfassaden, Rauputz und kleine Mosaikflächen galten als ähnlich dekorativ und stellten sich als weitaus kostengünstiger heraus.

Die nach der Wende von vielen ehemaligen Mietern gekauften Gebäude in Pankow sind heute in sehr unterschiedlichem Zustand. Zum Teil noch im Original erhalten, warten sie auf das nötige Geld für Renovierung oder Umbau, zum Teil wurden sie auch schon ohne viel Federlesen einfach übergestrichen und weiterbenutzt. Einige zeugen jedoch auch von den vielen potentiellen Entwicklungschancen, die oft in Standardbauten zu finden sind.

Beginnen Sie Ihren Spaziergang am Heinrich-Mann-Platz mit der Botschaft von Georgien in einem "Pankow I"-Urtyp. Um den Platz herum sind weitere Vertreter der ersten Jahre in sehr unterschiedlichem Zustand zu entdecken. Entlang der Heinrich-Mann-Straße bzw. der Mühlenstraße nach Süden - vorbei an noch original verklinkerten Typenbauten - gelangen Sie bis in die Stavanger Straße. Hier endet der kurze Spaziergang mit den Relikten einer Zeit, da sozialistische Ideen noch Überzeugungskraft besaßen.

Auf der Nordseite der Stavanger Straße befinden sich die beiden identischen Häuser der Republik Ghana, die im nächsten Bauabschnitt - die Renovierung der Innen- und Außenbereiche soll bereits abgeschlossen sein - ein verbindendes Bauvolumen in der Mitte erhalten. Gegenüber liegt die eritreische Vertretung, die nach ihrer Renovierung alle Kennzeichen eines etwas sensibleren Umgangs mit der Substanz aufweist. Bei der Wahl der Fensterprofile wurden die ursprünglichen, extrem dünnen Querschnitte berücksichtigt, und die ornamentierten Gitter als Einbruchschutz im Erdgeschoss bzw. als Brüstungen vor den Flurfenstern entsprechen ebenfalls der Originalplanung.

Die Sozialistische Republik Kuba direkt westlich von Eritrea scheint nach dem Motto "nicht kleckern, sondern klotzen" vorgegangen zu sein. Ist bei den beiden Typenbauen noch vermeintlich vorsichtig eine zartschimmerndes Aprikot im Farbanstrich verwendet worden, entstand im Garten ein alles erdrückendes Gebäude im Sinne einer freistehenden Stadtvilla der gemäßigten Spätpostmoderne.

Am Ende der Straße ist seitlich an der Vertretung der Republik Moldau übrigens noch eins der originalen Mosaiken zur Fassadendekoration der 70er Jahre zu entdecken - ein satteres Dunkelgrün ist heute schwer zu finden.

Dem Grundgedanken des Typenbaus folgend, ist es jedoch nicht von entscheidender Bedeutung, die Gebäude den einzelnen Staaten genau zuzuordnen: Die inhaltliche Aussagekraft ist weniger national als international und politisch interpretierbar; sind doch die vorgestellten Botschaften der Stavanger Straße ausschließlich Vertretungen von Ländern, welche mit einer langen sozialistischen Tradition oder mit einer noch längeren afrikanischen Kolonialgeschichte ausgestattet sind. Wir haben die hier vorgestellten fünf - Georgien, Ghana, Eritrea, Kuba und Moldau - nur stellvertretend für viele ausgewählt.

Lassen Sie sich mit diesem 10. Spaziergang auf ein Botschaftsspaziergang der ungewöhnlichen Art ein. Abseits der "reichen und schönen" sind hier die "normierten und vernachlässigten" Botschaftsbauten zu sehen.
Ob diese Beurteilung tragfähig ist oder völlig revidiert werden muss, können Sie nach dem Spaziergang leicht selbst entscheiden.