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17.03.2014

Der Über-Architekt. Rem Koolhaas und die Biennale

Ein Kommentar von Andreas Tölke

Auch das noch: Rem Koolhaas ist der Direktor der nächsten Architektur-Biennale. Irgendwie so vorhersehbar wie eine Ampelschaltung. 2010: SANAA, 2012: Chipperfield und 2014: Koolhaas – die Superstars der Szene sind die Macher der immer noch wichtigsten Architekturausstellung der Welt. Es wäre ja gut und sicherlich schön (in einem erweiterten Kunstkontext), würden sich die ganz Großen hinreißen lassen, Fragen aufzuwerfen, die erstaunen. Nichts da: Es wurden „Menschen, die sich in Architektur begegnen“ verhandelt (SANAA) oder „Common Ground“ – unser aller Grund und Boden (Chipperfield). Rem Koolhaas will „Fundamentals“ bearbeiten. Und haut auf dem Presseempfang den wahrscheinlich wichtigsten Satz seiner Karriere raus: „Architektur ist ohne Balkone nicht denkbar.“ Wow. Echt jetzt? Kann man das auch auf Fenster übertragen oder gar auf Fußböden? Tut er. Seine „Vision“ – und um nichts anderes sollte es auf einer Architektur-Biennale gehen – erschöpft sich im vorgestellten Konzept als Enzyklopädie. So wird es einen Raum geben mit der Geschichte der Treppe. The only way is up...

Ich mag Koolhaas, er ist meist grantig, hat über lange Zeit die Diskussion mit seinen Themen beherrscht, von der Vertikalen Stadt (1995 auch im Buch „S,M,L,XL“ – dem Standardwerk zeitgenössischer Architektur), über „Das Ende der historischen Stadt“ bis zu „Absorbing Modernity“, einer weiteren Verschlagwortung seiner Biennale. Er ist in den 1970ern angetreten als Provokateur in einer Szene, die sich damals nicht gerade durch Innovation hervortat. Er hat bis heute dieses Stigma und geht im Gegensatz zu Zaha Hadid (vielleicht der nächsten Biennale-Direktorin?) und Frank O. Gehry wie ein konzeptueller Künstler ans Werk. Der ehemalige Journalist, der sich zum Über-Architekten gemausert hat, ist „stil-los“ und entwickelt bei (fast) jedem Projekt eine neue Formensprache. Dass der gigantische CCTV Tower in Peking, die Casa da Música in Porto oder das Stadskantoor in Rotterdam aus einem Büro stammen, ist mehr als erstaunlich.

Koolhaas' Büro OMA arbeitet divers, vom Catwalk für Prada über Forschung (sehr zu empfehlen: „Road Map 2050“, eine Europa-Karte, die eine 80-prozentige Verringerung der C02-Emission veranschaulicht – so wie es die EU-Klimakommission als Ziel formuliert hat). Dass er bei allem Nachdenken über die Welt trotzdem mit jedem, der mit Mammon knistert, in die Kiste steigt, sei einem Pragmatismus geschuldet, der in Architektenkreisen Usus ist: Nur wer baut, wird wahrgenommen und bleibt. So realisiert er für Dasha Zhukova, die an der Seite des Milliardärs Roman Abramowitsch die Klatschpresse eroberte, im Gorki-Park ihre Galerie „Garage“ – in einem Park, der einer der wenigen im Herzen Moskaus ist und bis dato Schutzraum für Alkis und Flaneure war. Gentrifizierung – nur so ein Gedanke...

Bei einem früheren Gespräch in London hat Koolhaas mit mir die Frage erörtert, wie es weiter geht im sozialen Wohnungsbau – einer vergessenen Disziplin, deren Auswürfe trotzdem weithin sichtbar sind und die vom Stillstand in Zeiten der Wallstreet-Dominanz fast ausschließlich sinnlos umbauten Raum produziert. Rem Koolhaas postulierte damals die „Rückbesinnung auf soziale Kontexte“ und solidarisierte sich mit Chipperfields Gedanken vom „Abschied einer Architekten-Architektur“. Ein großer Mann (wahrhaftig: er ist über 1,90), der an seinem eigenen Stuhl sägt. Um so erstaunlicher, dass er jetzt die Rem-Koolhaas-Ego-Show veranstalten will.

Einzig ein Ansatz zur Biennale begeistert: Koolhaas will die anderen Venedig-Biennalen (Tanz, Film, Theater und Musik) einbinden. In London, wo die Serpentine Gallery jedes Jahr Architekten, die bisher im Vereinigten Königreich noch nichts gebaut haben, einen temporären Pavillon errichten lässt, hat Rem Koolhaas 2006 ähnlich agiert: Begeistert von einer Thomas-Demand-Ausstellung, lud er den Berliner Künstler ein, seinen ballonartigen Pavillon im Innenraum zu bespielen. Nein, es ist wirklich keine heiße Luft, die Koolhaas produziert, aber es bleibt ein Verdacht: Mit der diesjährigen Biennale-Bibliothek wird der Status Quo beschrieben. Ohne Aussicht auf Visionen. Doch die müsste man gerade von Rem Koolhaas erwarten.

Fotos: Anikka Bauer