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Kulturzentrum Tianjin

Ort
Tianjin
Gebäudekategorie
Gemeinde-, Kulturzentren, Mehrzweckhallen
Bauvorhaben
Neubau
Jahr der Fertigstellung
2012
Material Fassade
Naturstein
Architektenpreis
Iconic Award 2013 (Urban Planning) / MIPIM Asia Award 2013
Bronze (Urban Regeneration)
Internationaler städtebaul. Wettbewerb 1.Preis
Internationaler landschaftsplaner. Wettbewerb 1.Preis

Von Peking nur eine halbe Stunde mit dem Hochgeschwindigkeitszug entfernt, ist Tianjin mit seinen 13 Mio. Einwohnern nicht nur die fünftgrößte Stadt Chinas, sondern auch Hauptmotor der drittgrößten Wirtschaftsregion des Landes.
Tianjin hat eine Vielzahl kleiner und größerer Parks und Gärten, aber dieses gewaltige Areal bot die einmalige Chance, einen repräsentativen „Gartensalon“ für die ganze Stadt zu schaffen.
Gleichzeitig ist das Gebiet der Vorhof des Rathauses. Es wird damit zur Visitenkarte, zum Foyer und Wohnzimmer einer Metropole, die seit einigen Jahren boomt wie kaum eine andere Stadt weltweit. Mit gewaltigem Anspruch und aufgeladenen Visionen wurde der Umbau dieses Kernstücks der Stadt zur wichtigsten und prestigeträchstigsten Bauaufgabe in Tianjin in den ersten zwei Dekaden des 21.Jh.

Andere westliche Städte haben in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich ihre Kulturmeilen, -quartiere und -foren, Musuemsufer und –inseln entwickelt. Ein Kulturpark in der in Tianjin realisierten Mischung ist jedoch etwas Neues, noch nicht Erprobtes, sogar ein kleines Wagnis, heißt es doch, mit überkommenen Hierarchien zu brechen.

Dass das Experiment insgesamt gelungen ist und auch bei der Bevölkerung auf begeisterten Zuspruch stößt, ist letzlich der simplen und überzeugenden Gesamtidee aus Stadt- und Landschaftsraum und Gebäuden zu danken, die nicht – wie so oft üblich - nach und nach verwässert wurde: keine Exaltiertheiten, keine Überdrehungen, kein Gigantomanie, kein Heile-Welt-Gedusel.
Nur ein einfacher, bescheidener, ruhiger, gediegener und niedriger Saum von Gebäuden um einen Park gefädelt, der dem Wort „Volkspark“ noch alle Ehre macht.
Denn hier trifft sich tatsächlich das Volk, jung und alt, aus allen sozialen Schichten, um sich zu treffen, sich zu zeigen, zu vergnügen und auch ein wenig sich selbst zu feiern, stolz zu sein auf die eigene Stadt, die soviel Pracht und Schönheit entfalten kann.

Die hehren und etablierten Institutionen der abendländischen Kultur sind zwar allesamt da (Opernhaus, chinesisches und westliches Theater, Kunstmuseum, Historisches, Naturhistorisches und Technisches Museum, Bibliothek), aber ihnen ist die altmodische Weihe genommen. Sie geben den Rahmen ab für etwas Wichtigeres in ihrer Mitte, ein Stück Natur im Zentrum der Stadt, wild und gezähmt zugleich, ornamental und streng, in allen Farben und Facetten.
Den Kulturgebäuden am Südufer des Sees liegen im Norden eine gewaltige Mall mit Einkaufsflächen und reichlich Gastronomie gegenüber, aber auch komplexe Erlebnis- und Vergnügungswelten für Kinder und Jugendliche.

Stadträumlich lag die große, übergreifende Idee in einem weit gespannten Bogen, der als Ausgangs- oder Endpunkt einer großen Promenade das Rathaus in die Parkgestaltung mit einbezieht und es zu einem direkten Gegenüber des ‚Grand Theatre’ macht, welches den Bogen dann in einer Spiralbewegung aufs Südufer umlenkt.

In der Mitte der Stadt, in dicht bebauter Umgebung, bleibt ein mächtiger Raum von etwa 400 x 1200 Metern frei von jeglicher Bebauung, frei auch von Autoverkehr, als Parkett für die Öffentlichkeit, als Freiraum, der auch den größten Events Platz bieten kann.
Erhöhte Terrassen und ein breiter Boulevard begleiten die freie Mitte als Bühne der Öffentlichkeit, an allen Seiten architektonisch umrahmt von niedrigen Gebäuden beinahe europäischen Zuschnitts, hinter denen sich erst nach und nach die typische Hochhaussilhouette chinesischer Städte entwickelt.

Starker Bezug zum Wasser prägt das küstennahe Tianjin schon seit Urzeiten. Wasser in Form eines künstlichen Sees ist folglich auch das Hauptmerkmal des 90 Hektar großen Kulturzentrums und seiner zentralen Parkanlagen.

Landschaftlich wird dem am Ostufer gelegenen Opernhaus als räumlichem Dreh- und Angelpunkt eine „Öko-Insel“ gegenübergestellt, die mit Baumhainen, einem Strand, Bachläufen, Felsen und Wiesenflächen Erholung und direktes Naturerlebnis bietet.
Das Nordufer ist geprägt von Themengärten und Wasserspielen. Mehrreihige Baumalleen halten die kalten Nordwinde fern und speichern Wasser. Diesen vorgelagert, entlang der großen, geschwungenen Seepromenade, liegen schwimmende Gärten mit üppigen Wasserpflanzen. Die strengere, geradlinige Kulturachse am Südufer des Sees begleitet ein breiter steinerner Boulevard mit individuell gestalteten Terrassen.

Was sich dem Auge entzieht, ist nicht minder wichtig für den Erfolg des Ganzen: Eine ehemals den Park in Nord-Süd-Richtung querende Hauptverkehrsstraße wurde unter dem See durchgeführt, ein Verkehrsknoten mit drei sich kreuzenden U-Bahnlinien, ein Busbahnhof, riesige unterirdische Parkflächen und subterrane Service- und Einkaufsflächen wurden integriert. Zu den verborgenen Errungenschaften gehört nicht zuletzt das ausgeklügelte Regenwasser-Managementsystem, das den großen künstlichen See auch wirtschaftlich tragbar macht und in dieser Dimension einzigartig in China ist.

Fast das gesamte anfallende Regenwasser des Kulturbezirks wird in Retentionsbecken gespeichert, in Klärbiotopen gereinigt, wiederverwendet oder gedrosselt abgeleitet; der gesamte See wird ausschließlich mit Regenwasser betrieben. Dadurch konnte ein kostspieliger Ausbau der bestehenden Mischkanalisation vermieden werden.
Der See verringert Temperaturspitzen, bietet ein eigenständiges Ökosystem, bereichert Flora und Fauna, kann es mühelos auch mit einem Jahrhundertgewitter aufnehmen, vor allem aber inszeniert er die Front der ihn umgebenden, sich in ihm spiegelnden Bauten auf unvergleichliche Weise. Das ist der eigentliche Sinn seiner Erfindung.  

Ort: Tianjin / China
Auftraggeber Städtebau: Stadtplanungsamt Tianjin, vertreten durch:
Tianjin Disai Construction, Engineering Design and Service Co., Ltd.
Auftraggeber Landschaftsplanung: Tianjin Municipal Pipeline Co., Ltd.
Planungsgebiet: 4.65 km² / Landschftsplanung: 90 ha
Geplante BGF: ges. 2,7 Millionen m² /
nur Kulturzentrum / Neubauten: 690.000 m² + 160.000 m² unterirdisch
Städtebaul. Planung: 2008, m. Stefan Schmitz, Schaller/Theodor u. 3Pass Architekten
Landschaftsplanung: 2009-2011, mit Atelier Dreiseitl und TUPDI (Tianjin Urban Planning Design Institute)
Fertigstellung: Mai 2012
Fotos: Christian Gahl (1), Vanessa Chen (3,4,5,7,8)