Zurück zum Profil
driendl*architects

SOLAR TUBE

Foto: James Morris
Foto: James Morris
Im Ahorndach wohnt der Specht

Georg Driendl mausert sich zu einem der besten Einfamilienhausplaner der Nation. Der neueste Flügelschwung des Tirolers heißt Solar Tube, steht in Wien und befördert seine Bewohner vom schattigen Fuße bis in die lichten Wipfel alter Bäume.

Der Specht hat im Frühling viel zu tun, im 19. Wiener Gemeindebezirk. Schöne alte Bäume stehen hier in der Gegend, mit entsprechenden Specht-Leckereien darinnen. Unter den Baumkronen ducken sich diverse Villen verschiedenster Provenienz - die 70er-Jahre haben hier teilweise mit energischer Pranke gewütet, ein paar Jahrhundertwendehäuser stehen in vollem Efeu, ihre Besitzer suchen in den ausgebauten Dachböden nach der Frühlingssonne, die unten nicht zu finden ist. Draußen in den Gärten beginnen sie bereits herumzukramperln, die Spechte schauen zu.

In der Zuckerkandlgasse, ganz am Ende, entsteht gerade eine neue Klötzchensiedlung mit den üblichen Fenstergucklöchern, viel Beachtung bekommt sie allerdings nicht, weil gleich davor bis in die Baumkronen ein neues Haus gewachsen ist, das alle Aufmerksamkeit der Anrainer und der Passanten auf sich zieht.

Hier drinnen ist es so hell, wie es die Dachbodenausbauer der Umgebung gerne bei sich selbst hätten. Drei Geschoße hoch ist das Haus, das unterste bohrt sich zur Hälfte in den sanften Hang. Das Gebäude steht auf einem schwierigen, weil vom Norden in den Süden gehängten Grundstück, was man aber dank dem Architekten, Georg Driendl, und seiner offenbar sehr aufgeschlossenen Bauherrenschaft, eines Ärztepaares mit drei Kindern, jetzt weder draußen noch drinnen bemerkt.

Das Haus ist eine prachtvolle Gewöhnungsbedürftigkeit, eine Art gläsernen Nests, das bis in die Baumkronen reicht. Georg Driendl hat bereits ein paar sehr beachtliche Häuser in Tirol, Niederösterreich und auch in Wien vorgelegt, im Falle dieses Projektes kommt alles, was er dabei gelernt hat, perfekt zusammen.

Auf insgesamt 308 Quadratmetern Wohnnutzfläche erstrecken sich hier zuunterst der Eingangsbereich samt einer angeschlossenen, derzeit noch nicht genutzten Ordination. Im ersten Stock befinden sich die Küche mit geräumigen Ess- und Knotzbereichen, Letzterer liegt vor einem offenen, betonierten Kamin sowie einer über zwei Geschoße laufenden Bibliothekswand. Ganz oben, unter Dach, sind die drei Kinderrefugien und das Elternschlafzimmer untergebracht. Dazwischen viel Luftigkeit und Helle.

Rein konstruktiv betrachtet ist das Haus schon kühn genug: Zwei massive Betonscheiben stützen eine an Herausforderung grenzende Stahlbrückenkonstruktion, die das oberste Geschoß samt Dach bildet und mittels Stahlfachwerk mit Holz- und Glasausfachung in Form hält. Rundherum ist alles gläsern - teils schwarz und blickdicht, meist aber transparent offen, weil man jeden Sonnenstrahl in die Wohnung hineinholen wollte. Diese Transparenz zieht sich über die Glaswände hinauf bis über das Dach. Denn auch das ist streifenweise verglast, der Specht kann hier herein-, die Bewohner in die Baumkronen hinauslugen. Die Raumwirkung der nach außen gebogenen Glasröhre ist gewaltig. Damit im Sommer das kühle Waldlüfterl Einzug halten kann, lässt sich der hölzerne Teil der Konstruktion mittels elektrischen Antriebs aufschieben. Es entsteht dann ein riesiges Atrium mit Vogelsang und Spechtgetrommel frei Haus.

Driendl beweist mit seinen Arbeiten stets ein fast unheimliches Gefühl für Licht- und Raumsituationen, für präzise Planung jeder noch so kleinen und scheinbar unbedeutenden Ecke, offenbar hat der Mann das richtige G'spür für konstruktive Intelligenz und unkonventionelle Materialeinsätze. Nur ein paar Beispiele: Um das Haus quasi bis zum Untergeschoßfußboden mit Licht fluten zu können, sind in den Decken an wichtigen Stellen ebenfalls Gläser eingelassen. Ein durchlässiger Holzraster in der Decke sorgt für akustische Kommunikation zwischen den oben und unten gelegenen Wohnzonen sowie für eine gute Durchlüftung.

Zu den Materialien: Die markantesten wurden bereits aufgezählt: die Glaswände und Glasdecken, die Sichtbetondecken- und -wandteile sowie die Stahlkonstruktion, die innen sicht- und spürbar bleibt. Doch auch was den gesamten Innenausbau anbelangt, schöpfte Driendl hier aus dem vollen Schatz seiner Hausbau-, Konstruktions- und Materialerfahrung: Die Stiege ist zum Beispiel mittels eines I-Trägers über das Glaswandgeländer aufgehängt, was mit den Ahorn-Trittstufen sehr rassig daherkommt, letztlich wahrscheinlich aber sogar billiger auszuführen war als jede konventionellere Höhenerschließung.

Apropos Baukosten: Leider dürfen sie nicht verraten werden. Doch nur so viel: Das Haus hat dank der Planung und trotz Ausführung mit Qualitätsunternehmen sicher bedeutend weniger gekostet, als man annehmen sollte. Die Zimmerleute kamen aus dem Land der Hölzer, nämlich aus Vorarlberg, der Tischler aus der Steiermark, der Baumeister aus Wien.

Da Driendl seine Einfamilienhäuser stets so konzipiert, dass die Meublage zu einem Teil der Architektur wird, schlägt sich sein unkonventioneller Materialzugang etwa auch im Bereich der Kinder- und Schlafzimmer nieder. Dort gibt es Trennwände aus Papierwabenkernen, die beidseitig mit Glasfaserlaminaten beschichtet wurden: Das ergibt zwar eine blickdichte, dennoch hauchzart transluzente Trennung, die schalltechnisch tadellos ist. Die Schiebetüren der Einbaukästen sind ebenfalls mit Glasfaserlaminaten bespannt. Im Bereich des Bades ist man durch verschiebbare Ornamentglaselemente (Typ Nummero 504) von Einsichten abgeschirmt, sowohl hier als auch in der Küche wurden die Waschtische und Becken in vom Baumeister perfekt gegossenen, geschliffenen und danach lackierten Betonplatten eingelassen. Und noch ein bemerkenswertes Detail: Im Obergeschoß schummert in zwei Wänden Licht durch Onyxplattenwände. Sehr schön.

Obwohl das Gebäude nicht explizit als Niedrigenergiehaus ausgewiesen ist, sorgt die Verglasung gemeinsam mit einer vorzüglichen Dämmung für niedrigenergieähnliche Zustände. Heizkörper hat man sich dank einer Fußbodenheizung erspart - vermissen wird sie hier niemand. Der Blick auf die alten Bäume bleibt unverstellt, ein Sichtschutz in Form verschiebbarer textiler Außenkonstruktionen ist vorgesehen, muss aber erst vollendet werden. Dann können die Passanten nicht mehr hineinschauen, und der freie Blick ins Haus bleibt den Spechten oben in den Baumkronen vorbehalten.

Erschienen im: DER STANDARD, 16. März 2002
Text von: Von Ute Woltron