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blocher partners

Das multifunktionale Stadtquartier Q 6 Q 7 Mannheim

Foto: HG Esch
Foto: HG Esch
Ort
Mannheim
Gebäudekategorie
Läden, Einkaufszentren
Bauvorhaben
Neubau
Jahr der Fertigstellung
2016
Material Fassade
Glas
Q 7 /ehemalige kleine Fressgasse Mannheims

-  Das Haus ist eine kleine Stadt. Die Stadt ist ein großes Haus. So betrachtete es der Architekt und Architekturtheoretiker Andrea Palladio. Der brillante Mediator zwischen Renaissance und Barock im 17. Jahrhundert  -

Das multifunktionale Stadtquartier Q 6 Q 7 in Mannheim ist ein Wettbewerbserfolg aus dem Jahre 2007. Es nimmt Bezug auf die Äußerungen Palladio‘s und zeigt, wie sich heute Städte neu erfinden. „Das von uns entwickelte Gesamtkonzept verbindet die verschiedensten Bereiche mustergültig miteinander“, sagt Dieter Blocher, der Gründer von „blocher partners. „Denn nicht nur für die Architektur und Innenarchitektur waren wir verantwortlich, sondern auch für das namensgebende Branding und das Leitsystem. Bei der Gestaltung des Hotels haben unsere Innenarchitekten viel Wertschätzung erfahren“.

Die Mannheimer Innenstadt ist so angeordnet, dass nicht wie üblich die Straßen Namen haben, sondern die Häuserblocks einen Buchstaben und eine Zahl. Dieses Projekt mit 155.150 qm Brutto-Grundfläche (BGF) entspricht architektonisch und gestalterisch dem für Mannheim typischen Quadrate-Grundriss und strukturiert sich damit zu einem Ensemble aus Gastronomie, Gewerbe, Freizeitangeboten, Wohnen und einem Hotel. Die prägnanten Vorgaben, die jedes Areal aufweist verdeutlicht die unterschiedliche Nutzung und zeigt wie Idee und Konstruktion zu einer Einheit verschmelzen.

Mit Q 6 Q 7 entstand in der Mitte Mannheims eine Antwort auf die für städtisches Leben charakteristischen Herausforderungen des 21.Jahrhunderts, nämlich ein multifunktionales Gebäudeensemble. Der entwickelte urbane Kristallisationskern, der auch nach Ladenschluss noch belebt bleibt, weil sich in der Erdgeschosszone Geschäfte und Restaurants befinden, sowie Büros und großzügige Wohnungen, ist trendweisend.

Die Besucher zeigen sich überrascht von der Vielfältigkeit des Planquadrates Q 6 Q 7. In der Mitte der beiden, differenziert gestalteten, aber optisch verbundenen Baukörper öffnet sich der Münzplatz, ein neuer zentraler Platz, den eine gläserne Brücke im ersten Obergeschoss überspannt. Es ist hier nicht unbedingt nur für Shopping gedacht, denn auf der Straßenebene beginnt die Flaniermeile. Es existiert kein Haupteingang, sondern verschiede Zugänge, Passagen und Verbindungen.

Die Reflexion Freizeitgestaltung, sich mit Freunden und Bekannten treffen, um sich den sozialen Belangen des täglichen Lebens zu widmen, ist hier vordergründig, aber doch ist „der Ortsbezug für den innerstädtischen Einzelhandel hier das Entscheidende“, pointiert
Dieter Blocher, dies ermöglichen die verschiedensten Bezüge nach außen. Die einzelnen, bis zu 3.000 qm großen Geschäfte sind direkt
an den Straßenraum angebunden. Die Besucher können zwanglos hineingehen und so die zentrale Passage erreichen.

Zwischen Konkordienstrasse und Fressgasse wuchs eine vertikale Stadt. Über der Tiefgarage mit 1.376 Stellplätzen liegen drei Etagen Einzelhandel und Restaurants. Eine Stadtgalerie von Fashion bis Food dient als besonderer Anziehungspunkt, deren mäandrierendes Netz aus Passagen zum Flanieren einlädt. In Q6 wirkt die zweite Etage mit Fitness- und Gesundheitseinrichtungen wie eine Membran, sie teilt den öffentlichen Raum ab von einem privaten, der darüber liegt. Hier öffnet sich ein großzügiger, ca. 2.000 Quadratmeter großer, grüner Wohnhof, umgeben von viergeschossigen Wohnbauten mit 78 Wohneinheiten, durchbrochen von Einschnitten, die im Sommer Hitzestau durch Querlüftung verhindern. Dieses Refugium bietet das, was man sonst nur am Stadtrand findet: Weite und Erholung, Gemeinschaft und Ruhe.
Diese im Inneren der Quadrate entstandenen Innenhöfe, besser bekannt als „Mannheimer Gartenstadt“ stammen eigentlich aus der Zeit der Industrialisierung und wurden hier wieder aufgenommen. Die den Innenhöfen zugeneigten Bereiche entschädigen für die wachsende Unwirtlichkeit des städtischen Außenraums, der vor allem lautstarker Verkehrsraum ist. Das Konzept, Architektur und Innenhofgestaltung zu einer Einheit werden zu lassen, wird von Fachleuten als geglückt bezeichnet und trägt nicht nur in diesen Punkten zu einer Urbanisierung Mannheims bei.

In der Architektur und im Städtebau der Moderne ist ein solch‘ angelegter Wohnhof ein heikles, aber auch besonders reizvolles Motiv. Mies van der Rohe hat diese urbane Ambivalenz des modernen Städtebaus auszugleichen versucht durch die Rückbesinnung auf das griechisch-römische Atriumhaus. Der Barcelona-Pavillon (1929) von Mies und andere Hofhausentwürfe dieses Architekten kompensieren ihre kistenhafte Simplizität, wo an der Außenhaut die Stadtbewegung gleichsam ab- und vorüber gleitet, durch fast luxuriöse Wohnhöfe, die so schön sind, das die lärmende hektische Stadt fast vergisst.

In Q 7 variiert über einem im zweiten OG befindlichen Ärzte- und Gesundheitszentrum das Konzept um einen konzentrierteren Innenhof mit dem Hotel, welches in einem Restaurant- und Cafégeschoss samt Skylounge und großzügigem Seminarbereich mündet. Daneben, im Bereich der früheren kleinen Fressgasse ist wiederum ein Mix von Handel, Dienstleistung, Büronutzung und Wohnen enthalten.
„Dachbegrünung ist bei innerstädtischer Nachverdichtung ein wichtiges Thema“, erklärt Dieter Blocher, sie verbessert nicht nur die Luftqualität, sondern verringert vor allem den innerstädtischen Hitzestau. „Solche Dächer weisen eine um bis zu 40 Grad geringere Oberflächentemperatur auf als konventionelle Dächer.“ Bäume spenden Schatten, Wasserflächen kühlen durch Verdunstung. Dazu kommt das Prinzip Querlüftung - im sonnigen Mannheim eine schlichte Notwendigkeit. Gezielte Luftströme transportieren warme Luft hinaus und sorgen für Kühlung.

Vor geraumer Zeit  dominierten monolithische Einkaufshäuser die Innenstädte, deren Fassaden Teil einer Corporate Identity waren. Inzwischen hat sich einiges verändert. Die Details der lebendigen Fassade bei Q 6 Q 7 geben Aufschluss darüber, was sich jeweils dahinter befindet – von der einladenden Glasfassade der Erdgeschosszone bis zur klassischen Lochfassade als schützende Wand der Wohnungen und Hotelzimmer. Die steinerne Struktur der Fassade eint den individuellen Ausdruck. Die Gebäudehülle kommuniziert stets die
Bodenhaftung trotz der weitgehenden gläsernen, zweigeschossigen Sockelzone, die klar die vom Handel geprägten Bereiche definiert.

Im Block Q 7, wo die Quadratstruktur eigentlich nicht mehr gegeben ist, wird mit dem in Gebäudetiefe und -struktur abgesetzten Hotelbaukörper ein imaginäres Quadrat ergänzt. Der zweieiige Zwillingsbruder zu Q 6 schafft Maßstäblichkeit. Weiter in Richtung Wasserturm, im Bereich der ehemaligen Kleinen Fressgasse, löst sich dann die Blockstruktur auf und wird differenzierter und kleinteiliger in der Fassadenabwicklung wie auch in der Maßstäblichkeit der steinernen Hülle, sprich im Steinformat. Schützend schwebt der Hauch eines Daches, eine gläserne seilgetragene Membran, darüber. Ihre über die Gebäudeflucht der Fressgasse hinausragende Erscheinung markiert von weitem den für die Mannheimer Quadratstruktur städtebaulich so einzigartigen Platzraum, der an der kreisförmigen Linie, wo ursprünglich die Stadtgärten in südlicher Richtung lagen, die Blöcke Q 6 und Q 7 verknüpft.

Charaktervoll wird die Zimmerstruktur des Hotels durch Wechsel von auskragenden Fensterkuben mit traditionellen Lochfenstern akzentuiert, Formate wechseln, nicht aber das zugrunde liegende Prinzip der Einheit in der Vielfalt.
Eindeutig markiert ein 2-geschossig auskragender Glaskubus das Entree des Hotels. Ein 3-geschossiger Luftraum prägt die dahinterliegende Lobby, die mit einer Lichtinstallation der Mannheimer Künstlerin Christina Stihler eindrucksvoll bespielt wird. Ein ähnlich gestalteter Glaskubus markiert den Zugang ins Gesundheitszentrum. So bewahren und kultivieren die Architekten die innerstädtische Kleinteiligkeit und bieten dem Passanten Kurzweile, eine Überlagerung von Wegen und unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten.
Beim Eingang führt eine Rolltreppe hinauf in den ersten Stock, wo die gläserne Verbindungsbrücke zum jeweils anderen Bauteil leitet. Hier, an der Schnittstelle des Stadtquartiers, zeigt sich, wie die Flaniermeile in die Innenstadt verwoben ist. Die Fassade beider korrespondierender Baukörper öffnet sich zu einer zweigeschossigen Glasfront, die sich nach Norden verjüngt. Über ihnen die gläserne Verbindungsbrücke, zwei Geschosse höher schwebt eine filigrane Konstruktion aus Glas – als Wetterschutz darunter und Lärmschutz für Hotelgäste und Wohnungsinhaber darüber.

Das multifunktionale Stadtquartier Q 6 Q 7 ist nicht weniger als ein innovatives Instrument zur Revitalisierung unserer Kommunen. Mannheim führt überdeutlich vor Augen, was es heißt, die Elemente der Stadtgesellschaft - Arbeit, Wohnen und Erholung - in einem Punkt zu verdichten. Was die Charta von Athen künstlich trennte und zu separaten Sphären ausbaute, findet wieder zusammen. Und zwar so, wie Städte historisch organisiert waren: in der Erdgeschosszone Geschäfte, Austausch und Leben. Darüber Wohnen. Mannheim treibt dieses Konzept einen Schritt weiter.

Das Ensemble wurde mit dem Nachhaltigkeitszertifikat DGNB in Platin ausgezeichnet.


Q 6 Q 7 Zahlen und Fakten in Kürze:

7 Obergeschosse, 4 Untergeschosse
155.150 qm Brutto-Grundfläche
20.000 qm Einzelhandel inclusive Gastronomie
4.026 qm Fitness-Wellness und 2.751 qm Ärzteetage gesamt: 6.777 qm
1.000 Arbeitsplätze
1.376 Tiefgaragenplätze
Fassade Basaltlava und heller Naturstein Kalkstein
79 Wohneinheiten mit Ein- bis Vierzimmerwohnungen

4 Sterne-Superior-Radisson Blu Hotel mit 229 Zimmern, davon 13 Longstay Apartments, sechs Juniorsuiten, drei Suiten und einer Präsidentensuite, Restaurant- und Cafégeschoss, Skylounge und Seminarbereich Restaurant, Roof-Bar, Konferenz- und Seminarbereich, Fittness-Wellness im 6. OG und Café im EG

Nachbargebäude „Kleine Fressgasse“ arrondiert den Gesamtkomplex mit einer BGF von 38.000 qm, in dem ebenfalls: Einzelhandel, Büros + Wohnungen untergebracht sind

Hans-B. Adams

07.04.2017

Fotograf: HG Esch